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Was ist Urban Mining?

Bagger auf einem Erdhügel Symbol für Bauen
Foto: Adobe Stock

Der Bausektor ist für 60 Prozent aller Abfälle weltweit verantwortlich. Zwar wird bereits ein erheblicher Teil davon recycelt, meistens aber in minderwertiger Nutzung als Füllmaterial oder Ähnliches. Gleichzeitig herrscht akuter Mangel an verschiedenen Baustoffen, was immer mehr Bauvorhaben gefährdet.

Beim Urban Mining sollen Materialien, die beim Abriss und Rückbau von Gebäuden anfallen, in einem Kreislaufsystem konsequent als Rohstoffquelle für neue Bau- oder Sanierungsprojekte genutzt werden.

  1. Bauabfälle – ein riesiges ungenutztes Potenzial
  2. Urban Mining: Bauabfall als Rohstoffquelle
  3. Kreislauf- statt Abfallwirtschaft
  4. Baustoffmangel bewegt zum Umdenken
  5. Die Praxis: Materialkataster und Baustoffbörsen
  6. Fazit: Urban Mining stärkt die Kreislaufwirtschaft

Ein Beitrag unserer Redaktion.

Bauabfälle – ein riesiges ungenutztes Potenzial

Laut Studien der Internationalen Energieagentur ist der Bausektor für 40 Prozent des Rohstoff- und Energieverbrauchs verantwortlich und damit auch einer der Hauptverursacher der globalen CO2-Emissionen. In Deutschland, so das Umweltbundesamt (UBA), werden jährlich mehr als 500 Millionen Tonnen von mineralischen Rohstoffen verbaut, 5,5 Millionen Tonnen Baustahl und 33,7 Millionen Tonnen Zement eingesetzt. Demgegenüber stehen 230 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle – mehr als die Hälfte des gesamten Abfallaufkommens.

Immerhin 88 Prozent der Bauabfälle werden recycelt, allerdings meist in Form niedrigwertiger Produkte wie beispielsweise Schüttgut im Straßen- und Tiefbau.

Urban Mining: Bauabfall als Rohstoffquelle

Handyschrott
Die Wiederverwertung von Schrotthandys könnte viele wertvolle Materialien sichern.
Foto: Getty

Einen anderen Ansatz als das herkömmliche Recycling (das meist ein Downcycling ist) verfolgt das Konzept des Urban Mining. Der Begriff ist nicht wörtlich zu nehmen, denn weder handelt es sich um Bergbau im eigentlichen Sinne, noch ist Urban Mining streng auf städtische Bereiche beschränkt.

Die Idee ist vielmehr, Lagerstätten für Bauabfälle zu schaffen, um sie als hochwertige Rohstoffe für den Neubau oder auch die Sanierung verfügbar zu machen. Das Adjektiv urban drückt zum einen den Unterschied dieser „menschengemachten“ zu natürlichen Rohstoffminen aus. Zudem weist er darauf hin, dass die großen Städte mit reger Bau- und Abbruchtätigkeit das größte Potenzial für Lager von Sekundärrohstoffen bietet.

Urban Mining: Ein zweites Leben für alles

Das Konzept des Urban Mining beschränkt sich nicht auf den Bausektor, sondern befasst sich mit dem gesamten Bestand an langlebigen Gütern. Autos und Elektrogeräte gehören dazu, die sogenannten „Schubladenhandys“ sind ein markantes Beispiel: Theoretisch ließe sich der Materialbedarf für neue Smartphones für zehn Jahre aus abgelegten Geräten decken.

Für die kommenden Jahre wird auch die Wiederverwertung von ausgedienten Photovoltaikmodulen und Rotorblättern von Windkraftanlagen ein großes Thema werden.

Kreislauf- statt Abfallwirtschaft

Im Unterschied zum klassischen Recycling beginnt Urban Mining nicht erst, wenn der Abfall bereits da ist, sondern viel früher. „Denken vom Ende her“ lautet das Prinzip. Schon bei der Planung eines Gebäudes, beziehungsweise sogar bei der Herstellung von Baustoffen, sollte die spätere Wiederverwertung mitgedacht werden. Idealerweise führt das zu einer zirkulären Bauweise, bei der sich alle Komponenten des Bauwerks in einem fast geschlossenen Materialkreislauf bewegen.

Das stellt neue Anforderungen an die Bauindustrie. So müssten sich zum Beispiel die Komponenten von Bauteilen am Ende der Lebenszeit einfacher voneinander lösen lassen. Hersteller müssten transparenter machen, was in ihren Produkten enthalten ist. Auch Architekten müssen umdenken: Statt erst ein Gebäude zu entwerfen und dann die Materialien dafür zu wählen, müsste sich der Entwurf viel stärker an verfügbaren Baumaterialien orientieren.

Was ist eine Kreislaufwirtschaft?

Wenn heute über Nachhaltigkeit diskutiert wird, fällt immer häufiger der Begriff Kreislaufwirtschaft. Doch was genau ist damit gemeint? Wir erklären, welche Ziele die Kreislaufwirtschaft verfolgt und welche Chancen sie bietet »

Rendering vom CRADLE in Düsseldorf
Das Hochhaus „The Cradle“ im Medienhafen Düsseldorf macht den Namen zum Programm: Das Gebäude ist recyclingfähig und dient sozusagen als Materiallager. Sollten einzelne Teile ausgetauscht oder das Gebäude in der Zukunft wieder abgerissen werden, bleibt kaum Müll, da fast alles erneut genutzt werden kann.
Foto: Interboden

Beispiele für zirkuläres Bauen

Häuser, die zugleich Materiallager sind, findet man heute noch selten.

  • Eines davon ist das Gebäude der Stadtverwaltung im niederländischen Venlo, das so entworfen wurde, dass sämtliche Produkte nach Gebrauch für etwas Neues verwendet werden kann.
  • In Düsseldorf entsteht nach ähnlichem Prinzip das Bürohochhaus „Cradle“ in Holzbauweise, das im Laufe des Jahres 2023 fertig werden soll.
  • Das belgische Architekturbüro Rotor macht wiederverwertbare Elemente alter Gebäude zum Ausgangspunkt seiner Neubauentwürfe. Mit Rotor Deconstruction betreibt es auch ein Abbruchunternehmen mit Baustoffbörse.

Baustoffmangel bewegt zum Umdenken

Aussortieren von Recyklat
Alte Baumaterialien werden aussortiert und auf ihre Wiederverwendbarkeit geprüft.
Foto: Wopfinger Transportbeton

Hauptziele von Urban Mining und zirkulärem Bauen sind mehr Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz. Als weiterer Antrieb kommt nun aber auch der akute Mangel an verschiedenen Baumaterialien dazu, eine Folge unter anderem von Energiekrise, Krieg und anderen geopolitischen Faktoren. Damit ist Urban Mining kein ausschließlich „grünes“ Thema mehr.

„Nun ist der Zeitpunkt gekommen, an dem wir uns endlich mehr Gedanken über Kreislaufwirtschaft und den verringerten Einsatz von Primärrohstoffen machen müssen“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie HDB, Tim-Oliver Müller, im April 2022 unter dem Eindruck des Ukrainekriegs. Von der Bauwirtschaft beklagt werden unter anderem administrative und rechtliche Hürden, die die Wiederverwertung von Materialien erschweren. Eine zum 1. August 2023 in Kraft tretende neue Mantelverordnung für Ersatzbaustoffe und Bodenschutz soll die Recyclingquote erhöhen. So ist dann beispielsweise die Beseitigung von Abfall nur noch zulässig, wenn vorherige Verwertung nicht möglich oder wirtschaftlich ist.

Die Praxis: Materialkataster und Baustoffbörsen

Baustoffbörse
Warten auf die Wiederverwertung: Baustoffbörsen sind Jäger und Sammler von Materialien – für einen guten Zweck.
Foto: Rotor Deconstruction

Um das Prinzip Urban Mining praktisch umzusetzen, braucht man zunächst einen Überblick, welche Art von wiederverwertbaren Materialien wo und in welchen Mengen im Gebäudebestand künftig anfallen werden. Für Immobilien neueren Datums gibt es hierzu meist schon Informationen, kaum jedoch für den Altbaubestand.

Gebäude-Materialkataster

Digitale Gebäude-Materialkataster sollen diese Lücke schließen. Das bekannteste davon ist die 2017 in den Niederlanden gegründete Online-Plattform Madaster, in dem mittlerweile auch Gebäude in deutschen Großstädten gelistet sind. Mit einem speziellen Softwareprogramm lassen sich anhand von Daten wie Baujahr und -ort, Gebäudetyp und -größe die Materialbestände abschätzen.

Baustoffbörsen

Baustoffbörsen fungieren als Marktplätze für wiederverwendbare Materialien und Bauteile. Hier finden Anbieter von aus Bauschutt geretteten verwertbaren Produkten und Abnehmer wie Architekten, Bauunternehmen oder Handwerker zusammen. Auf der in mehreren europäischen Ländern vertretenen Börse „Cyrkl“ wird alles vom Altmetall über gebrauchte Kabel, Fliesen oder Holz bis zu Ziegelabfällen alles gehandelt.

Auf der Plattform Restado sind die Angebote verschiedener Baustoffbörsen in Deutschland und der Schweiz zu finden. Gefragt sind die Re-Use-Produkte auch für Sanierungen von denkmalgeschützten Häusern, für welche der jeweiligen Epoche entsprechende Baustoffe sonst oft kaum erhältlich sind.

Fazit: Urban Mining stärkt die Kreislaufwirtschaft

  • Bauabfälle sind eine großenteils ungenutzte Ressource zur Baustoffgewinnung.
  • Urban Mining setzt auf Kreislauf- statt Abfallwirtschaft.
  • Übergeordnete Ziele sind Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz.
  • Baustoffmangel und hohe Materialpreise sind ein weiterer Anreiz für mehr Wiederverwertung.
  • Gebäude-Materialkataster und Baustoffbörsen setzen Urban Mining in die Praxis um.
UMAR
Kreislaufwirtschaft live erleben kann man in der (mittigen) Experimentaleinheit Urban Mining & Recycling (UMAR). Sie ist Teil des Forschungsgebäudes NEST auf dem Campus der eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt in der Schweiz.
Foto: Zooey Braun