Aus Alt mach Neu: Kreative Ideen für den zirkulären Innenausbau

So funktioniert Innenausbau nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip: Umbauen statt Neubauen, Wiederverwenden statt Neukaufen.

Die Wiederverwendung vorhandener Materialien, das sogenannte Re-Use, war die Leitlinie beim Büroumbau der Abfallwirtschaftsbetriebe in Münster. Die kreativen Planer und Handwerker bauten alte Kabeltrassen zu Regalen und Stuhllehnen zur Wandverkleidung um. Auch die übrigen Baustoffe, wie gebrauchte Fenster, Holz und Gipskartonplatten, fanden hier ein zweites Leben.

Ein Büroumbau, der mit gängigen Regeln bricht: Die effektive Kombination aus der Wiederverwendung alter Baustoffe und handwerklicher Kreativität zeigt, wie effektiv und ressourcenschonend schon heute umgebaut und Bestehendes weitergenutzt werden kann.

In diesem Artikel:

  1. Aus Alt mach Neu: Zirkulärer Büroumbau in Münster
  2. Materialwerte erhalten: So funktioniert der zirkuläre Umbau
  3. Vom Abfall zum modernen Interior: Konkrete Re-Use-Beispiele
  4. Interior Materialpass gibt Aufschluss über die Ökobilanz
  5. Bautafel
  6. Warum wir eine Bauwende brauchen

Liz Theißen
Ein Gastbeitrag von urselmann interior.

Aus Alt mach Neu: Zirkulärer Büroumbau

Als die Abfallwirtschaftsbetriebe (awm) in Münster neue Büroräume benötigten, stand schnell fest: Ein Neubau kam nicht in Frage. Stattdessen sollte der Bestand weitergenutzt und umfunktioniert werden. „Wir brauchten dringend weitere Büro- und Arbeitsflächen und haben uns deshalb entschieden, das bis dahin nicht mehr nutzbare dritte Obergeschoss unseres alten Verwaltungsgebäudes umzubauen“, sagt Patrick Hasenkamp, technischer Betriebsleiter der awm.

Ressourcensparend ist aber nicht nur der Erhalt des Bestandes. Auch der Umbau selbst sollte so ressourcenschonend wie möglich vonstatten gehen. Das gelang, indem praktisch alle Baumaterialien entweder Bestehendes zweitverwerteten oder kreislaufgerecht produziert wurden. Der Großteil der verbauten Materialien – von den Glastrennwänden bis zur Wandverkleidung aus alten Theater- und Schulstühlen – ebenso wie die Möbel hatte vorher bereits ein erstes Leben.

Die beiden wichtigsten Prinzipien

  1. ReUse first: Weiterverwendung von Bauprodukten ist sofortiger Klima-und Ressourcenschutz.
  2. Alles andere Cradle to Cradle: Neue Produkte folgen der c2c-Designschule.

So sehen die neu umgebauten Büroräume aus

Foto: Magdalena Gruber
  • Die Glastrennwände (im hinteren Bereich) stammen ursprünglich aus einem anderen Bürogebäude. Sie wurden dort aus- und in den neuen Büroräumen wieder eingebaut.
  • Die Wandverkleidung (Mitte) wurde aus gebrauchten Stuhllehnen neu arrangiert.
  • Die Regale (Mitte) wurden aus ausrangierten Kabeltrassen zusammengebaut.
  • Die Designer-Sessel waren ebenfalls gebraucht, sie wurden mit c2c-zertifiziertem Stoff einheitlich bezogen.
  • Die Vorhänge und die Teppichfliesen sind c2c-zertifiziert und nicht verklebt.

Materialwerte erhalten: So funktioniert der zirkuläre Umbau

Der Schlüssel zur Wiederverwendung gebrauchter Materialien liegt im kreativen Handwerk. Sie haben die Fähigkeiten, bestehende Produkte, Materialien und Bauteile zu reparieren, umzubauen oder zu recyceln.

1. Schritt: die "Ernte"

Am Projekt beteiligt war Concular. Das Unternehmen kümmerte sich um die Vermittlung von wiedergewonnenen Baustoffen für das Projekt. Die Materialien werden in Bestandsgebäuden "geerntet" − beispielsweise rückgebauter Gipskarton, Doppelboden oder Glastrennwände.

2. Schritt: das Konzept

Die Düsseldorfer Architekten von Urselmann Interior, die sich auf Innenausbau nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip spezialisiert haben, entwickelten das Konzept für die neue, 250 m² große neue Arbeitswelt. Die Planung folgt dem Ansatz „Design to availability“, richtete sich also nach den verfügbaren Materialien.

3. Schritt: der Einbau

Zuletzt erfolgt der Einbau der Baumaterialien am vorgesehenen Platz. Auch hier wurde das Cradle-to-Cradle-Prinzip mitgedacht, das eine spätere Weiterverwendung für neue Projekte ermöglicht. Damit das funktioniert, ist eine sortenreine Demontage wichtig. Die Bauteile sind deshalb nur verschraubt, gesteckt und nicht verklebt,

Was steckt hinter dem Cradle-to-Cradle-Prinzip?

Cradle to Cradle (oder kurz: C2C) ist ein neuer Ansatz für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft. Dahinter steckt die Idee, in Kreisläufen zu denken: Wie in der Natur sollen keine Abfälle produziert werden, Produkte werden von Anfang an so gestaltet, dass alle Materialien in den Kreislauf zurückgeführt werden, aus dem sie entnommen wurden. In unserem Artikel zum Cradle-to-Cradle-Prinzip haben wir das genauer erklärt »

Vom Abfall zum modernen Interior: Konkrete Re-Use-Beispiele

Beispiel 1: Wiederverwendung alter Glastrennwände

Ursprünglich stammen die schwarzen Glastrennwände aus dem Behrensbau in Düsseldorf und waren viel zu wertvoll, um weggeworfen zu werden. Daher wurden die vorhandenen Glastrennwände aus dem Museum demontiert und in den neuen Büros wiederaufgebaut.

Hier sehen wir dieselben Glastrennwände in ihrem zweiten Zuhause − ebenso wie die Gipskartonplatten, die zum Aufbau der Zwischenwand genutzt wurden. Die Größe des neuen Wandausschnitts orientierte sich an den Maßen der ausgebauten Glastrennwände

Beispiel 2: Wiederverwendung von Dachsparren aus einem Supermarkt

Beim Abriss alter Gebäude fallen große Mengen an Baumaterial an, die sich häufig noch gut weiterverwenden ließen. So auch in diesem Supermarkt. Die Dachsparren wurden zurückgebaut und dienen nun im AWM-Büro unter anderem für den Möbelbau und für Wandunterkonstruktionen.

Beispiel 3: Kreatives Upcycling alter Kabeltrassen

Alte Kabeltrassen kann man ausbauen und wieder als Kabeltrassen verwenden. Aber man kann sie auch einem ganz neuen Verwendungszweck zuführen. Beim Büroumbau dienten sie als Grundgerüst für neue, moderne Regale, die Halterung stammte aus einem 3D-Drucker.

Ein Blick in den Konferenzraum zeigt, wie die neuen Regale als Raumteiler fungieren.

Foto: Magdalena Gruber

Upcycling

heißt: Aus alt mach neu – aber kreativ! Es geht um die kreative Weiterverwendung und Aufwertung alter Gegenstände, die sonst im Müll gelandet wären. Ähnlich wie beim Recycling wird damit Müll vermieden. Hier haben wir genauer erklärt, was Upcycling ist »

Beispiel 4: Stuhllehnen werden zum Designobjekt an der Wand

Ursprünglich war eine Wandverkleidung aus gebrauchten Holzplatten geplant. Doch kurzfristig musste umdisponiert werden, denn der Rückbau wurde vom Eigentümer verschoben. Die Planer von Urselmann Interior haben kurzfristig umorganisiert und eine kreative Wandverkleidung aus Stuhllehnen geschaffen. Heute verleihen sie den Räumlichkeiten einen unverwechselbaren Designcharakter.

Foto: Magdalena Gruber

Interior-Planung des AWM Münster auf einem Blick

Die Schnitte zeigen die neuen Büroräume: Oben der Konferenzraum mit den Upcycling-Kabeltrassen-Regalen, unten die danebenliegenden Büroräume mit Stuhl-Wandverkleidung.

Beispiele für Wiederverwertungen von Baustoffen

  • Trockenbau: Wand- oder Deckenbalken aus Holz, aber auch Gipskarton- oder Strohbauplatten können ausgebaut und neu verwendet werden.
    Bodenbeläge: Teppichfliesen lassen sich einfacher und länger verwenden als Flächenteppiche: Bei Verschmutzungen können einzelne Fliesen ausgetauscht werden. Noch einfacher geht ein Austausch vonstatten, wenn auf dauerhafte Verklebungen verzichtet wird.
  • Elektro: Alte Leuchten können weiterverwendet oder auf LEDs umgerüstet werden. Auch Steckdosen oder Kabeltrassen können ausgebaut und wiederverwertet oder einem neuen Verwendungszweck zugeführt werden.
  • Akustik: Materialien und Stoffe können neu vernäht und genutzt werden. Umweltfreundlich ist auch die Verwendung von recyceltem PET-Filz. Bestehende Akustikelemente können wiederverwendet werden.
  • Möbel: Bestehende Möbel können weitergenutzt oder umgebaut werden.

Interior Materialpass gibt Aufschluss über die Ökobilanz

Nach Abschluss des Projekts erstellte urselmann interior eine Ökobilanzierung sowie einen Interior Material Pass, um die CO2-Einsparung transparent darzustellen.

Bautafel

Das Projekt

  • Umbau der Büroräume der Abfallwirtschaftsbetriebe (awm) in Münster
  • Bürofläche: 250 m²
  • Ausbauzeit: Mai−September 2023
  • 12 neue Arbeitsplätze, Workshop- und Schulungsbereiche
  • Lunch Area inkl. Küche

Ökobilanz

  • 82 Prozent Einsparungen von CO2-Emissionen (im Vergleich zu konventioneller Bauweise)
  • 95,6 Prozent  des verbauten Material ist c2c zertifiziert/inspiriert oder ReUse
  • 6,9 Tonnen ReUse-Material verwendet

Mercedes-Benz-Arena Stuttgart: Auch hier Upcycling angesagt

Auch beim Umbau der Mercedes-Benz-Arena in Stuttgart landete kaum etwas auf dem Schrottplatz. Stattdessen stand die Wiederverwendung von Materialien und Baustoffen auf der Tagesordnung. Die Stuttgarter zeigen, wie man Gutes wiederverwendet statt zu vernichten und Abfall zu produzieren. Hier können Sie unsere Reportage über den Umbau des Fußballstadions lesen »

Warum wir eine Bauwende brauchen

"Auch und gerade im Bausektor schlummern noch viele Abfallvermeidungspotenziale“, so Patrick Hasenkamp, technischer Betriebsleiter der awm. Projekte wie diese zeigen, in welcher Skalierung wir in Zukunft denken können, um den Abfall- und Bausektor zu transformieren. Denn der Ressourcenverbrauch des Bausektors ist nach wie vor immens.

“Der Bausektor spielt eine Schlüsselrolle, wenn es um die Vermeidung von Abfällen, die Schonung von Ressourcen die Vermeidung von Co2 Emissionen geht” so Sven Urselmann, Inhaber von urselmann interior (ui). Für das Team von ui ist klar: “Die Denk- und Designschule von Cradle to Cradle, die Skalierung von ReUse Baumaterialien wie das Handwerk sind unsere Antwort für die notwendige Bautransformation."

Was können wir zukünftig besser machen?

"Bauteile und Baustoffe sollten möglichst wiederverwendet oder recycelt werden und in neuen Bauvorhaben eingesetzt werden", rät Prof. Dr. Sabine Flamme von der Fachhochschule Münster.

Der Gesetzgeber hat den Handlungsbedarf erkannt, auf nationaler Ebene wurde eine Kreislaufwirtschaftsstrategie initiiert, die zum Beispiel den Bestandserhalt vor Neubau und die Förderung rückbaufähiger Bauwerke priorisiert.

Der Gebäuderessourcenpass: Wissen, was in einem Gebäude steckt

Ein Gebäuderessourcenpass dokumentiert (ähnlich wie ein Materialpass), welche Materialien beim Hausbau verwendet wurden und ob sie recyclingfähig sind. Mehr zu diesem neuen Gesetzesvorhaben erfahren Sie in unserem Artikel: Gebäuderessourcenpass: Wie realistisch ist die Umsetzung?

Über urselmann interior

Das Unternehmen bietet die Umsetzung kreislauffähiger Inneneinrichtung aus einer Hand an - von der Gestaltung bis zur Umsetzung. Dabei wenden sie konsequent die Bauweise nach der Denkschule von Cradle to Cradle an und treten für eine Bauwende ein.

Lindenstraße 226, 40235 Düsseldorf, www.urselmann-interior.de

Alle Fotos, sofern nicht anders gekennzeichnet: urselmann interior