Mercedes-Benz-Arena Stuttgart: Upcycling-Umbau setzt neue Maßstäbe

Mercedes-Benz-Arena Foto Froschperspektive
Foto: Concular

In Stuttgart wird die Mercedes-Benz-Arena für die Fußball-Europameisterschaft 2024 umgebaut. Wie die deutsche Nationalmannschaft dabei abschneidet, steht noch in den Sternen, aber in Sachen Nachhaltigkeit spielt der Umbau des Fußballstadions jetzt schon in der 1. Liga.

Kaum etwas landet hier auf dem Schrottplatz. Stattdessen steht die Wiederverwendung von Materialien und Baustoffen auf der Tagesordnung. Alle Bauteile und Materialien, die wiederverwendet werden können, werden in einer Ressourcendatenbank erfasst. Die Stuttgarter zeigen, wie man Gutes wiederverwendet statt vernichtet und Baustoffe wiederverwendet statt Abfall zu produzieren.

  1. Nachhaltiger Umbau der Mercedes-Benz-Arena Stuttgart
  2. Rettung für Baustoffe: Das zweite Leben eines Fußballstadions
  3. Materialermittlung mit Zollstock und Notebook

Christian Mascheck
Fachautor CRADLE

Nachhaltiger Umbau der Mercedes-Benz-Arena Stuttgart

Zehntausende Fußballfans strömen regelmäßig voller Vorfreude in die Mercedes-Benz Arena in Stuttgart-Bad Cannstatt, um „ihren“ VfB zu unterstützen. Das imposante Bauwerk liegt im Neckarpark und bietet über 60.000 Zuschauern Platz.

Von 2022 bis 2024 wird das Stadion fit für die UEFA Europameisterschaft 2024 gemacht. Die neu zu errichtende Haupttribüne bietet nicht nur mehr Platz für die Zuschauer, sondern auch moderne Einrichtungen für die Sportler, Offiziellen und Medien. Unter der Tribüne entstehen neue Mannschaftskabinen sowie neue Räume für Pressekonferenzen, TV-Studios und andere Funktionen.

Dafür muss viel Material bewegt werden. Aber nicht auf den Müll. Vieles im Stadion, das modernisiert werden soll, ist noch lange gut und viel zu schade für die Schrottpresse. Für den Umbau haben sich die Verantwortlichen deshalb viele Nachhaltigkeitsziele gesetzt, unter anderem die Wiederverwendung vorhandener Materialien, das sogenannte Re-Use.

Rettung für Baustoffe: Das zweite Leben eines Fußballstadions

Datenerfassung für Concular
Für die Neunutzung muss vor Ort erfasst werden, was alles ausgebaut werden kann.
Foto: Concular

Zirkuläres Bauen ist das Gebot der Stunde beim Umbau der Mercedes Benz Arena. In Stuttgart hilft das junge Unternehmen Concular dabei, Baustoffe zu identifizieren, die sich wiederverwenden lassen. Denn: Die Idee der Wiederverwendung ist schön und gut. Aber wenn kein Architekt und kein Bauherr weiß, was wo in welcher Qualität und Menge vorhanden ist, kann auch niemand die verfügbaren Materialien nutzen.

Die Verantwortlichen von Concular haben einen eigenen Gründungsmythos, der das Problem ziemlich gut auf den Punkt bringt: „Unsere Geschichte begann bereits vor einigen Jahren – mit einer konkreten Beobachtung: Neue Baustoffe – in diesem Fall noch ungebrauchte, original-eingeschweißte Türen -, die auf einer Baustelle übrig blieben, wurden nicht wie erwartet an den Hersteller zurückgeschickt, sondern ohne langes Überlegen in den Container geworfen. Eine gängige Praxis, wie wir feststellen mussten.“

Das führte zur Gründung der Online-Baustoffbörse Restado. Hier findet man gerettete Baustoffe - von alten Ziegelsteinen über sonnenverbrannte Holzbretter, Türzargen, Fenster, Heizkörper bis hin zu ganzen Fuhren Recyclingbeton. Seit 2020 wird die Baustoffbörse durch das Start-up Concular ergänzt, das die gesamte Prozesskette bei der Wiederverwendung von Baustoffen abbildet: von der Erfassung über den Rückbau bis zum Wiedereinbau.

Was ist zirkuläres Bauen?

60 Prozent des gesamten Abfallaufkommens und 40 Prozent der CO2-Emissionen stammen aus dem Bausektor. Was liegt da näher, als die Materialströme besser zu kanalisieren und zu managen? Urban Mining, Recycling und zirkuläres Bauen tun genau das. Sie wollen das vorherrschende Take-Make-Waste-Prinzip durchbrechen, bei dem Materialien abgebaut, mit hohem Energieaufwand verarbeitet und dann einfach weggeworfen werden.

Beim Urban Mining geht es genau darum: Materialien, die beim Abriss und Rückbau von Gebäuden anfallen, werden in einem Kreislaufsystem als Rohstoffquelle für neue Bau- oder Sanierungsprojekte genutzt. In unserem Artikel erfahren Sie, wie Urban Mining in der Praxis funktioniert »

Um zu wissen, welche Materialien in einem Gebäude vorhanden sind und recycelt werden können, hilft ein Gebäuderessourcenpass. Hier erfahren Sie mehr über darüber »

Materialermittlung mit Zollstock und Notebook

Re-Use beginnt beim Umbau der Mercedes-Benz-Arena in Stuttgart mit einem Ortstermin. Das Team von Concular betritt an diesem sonnigen Tag die heiligen Hallen des VfB-Stadions und nimmt sich zunächst die Zuschauertribüne vor, die beim Umbau ersetzt werden soll.

„Die Lehne hat 27 auf 40 Zentimeter“, liest der Mitarbeiter von seinem Zollstock ab. Die rote Bestuhlung wird vermessen. Ganz akkurat. Zwei Mitarbeiterinnen und ein Mitarbeiter machen Fotos. Sogar das Gestänge, mit denen die Klappstühle am Betonboden befestigt sind, bekommen eine Nahaufnahme.

Sitze im VfB-Stadion werden vermessen
Die genauen Abmessungen der Sitze werden sorgfältig erfasst.
Foto: Concular

Die erfassten Daten werden sofort per Laptop in die Datenbank übertragen. An Ort und Stelle.

„Was wir hier machen, ist eine sogenannte Materialermittlung - wir erstellen einen Materialpass“, erklärt Marc Haines, einer der Gründer von Concular. Die späteren Käufer, die in diesem Fall die Stühle direkt aus der Arena ausbauen sollen, müssen wissen, wie das Material aussieht und in welchem Zustand es ist.

Zugänge zur Zuschauertribüne in der Mercedes-Benz-Arena Stuttgart
Auch die Zugänge zur Zuschauertribüne sollen entfernt werden.
Foto: Concular

Erst abbauen, transportieren, verkaufen und dann wieder transportieren? Das soll möglichst vermieden werden. Am besten ist es, wenn die neuen Besitzer direkt vor Ort demontieren, was sie gebrauchen können. Sogar Fans konnten sich die berühmten Sitze der Mercedes-Benz-Arena Stuttgart sichern, die beim Umbau ausgebaut werden - für den Kinokeller oder das Wochenendhaus.

Das Team rückt weiter in den Bistrobereich des Stadions vor, wo riesige Bullaugenfenster mit dem VfB-Logo den Blick nach draußen freigeben. Auch sie werden vermessen.

Glasbullauge mit VfB-Logo
Besonderer Ausblick: Die Fenster im Bistro ziert ein güldenes VfB-Logo.
Foto: Concular

Die Gipskartonwände haben zwar keine Zukunft, wohl aber ihr Innenleben. Je nach Alter und Zustand kann die Mineralwolle direkt vor Ort wieder zur Dämmung verwendet werden. Die Handläufe an den Treppen und Brüstungen sehen fast wie neu aus.

Interieur VfB-Arena
Alles muss raus: Viele der Materialien im Interieur sind fast neuwertig.
Foto: Concular

„Furchtlos und treu“: Dieser Schriftzug prangt an den Wänden der Umkleidekabinen der Mercedes Benz Arena. Echte Fans würden wohl Schnappatmung bekommen, wenn sie diese ehrwürdigen Räume betreten dürften. Das Concular-Team ist da eher professionell, freut sich aber auch − über die vielen gut erhaltenen Materialien, die sich beim Umbau auch im Duschraum zeigen.

Re-Use ist nicht nur eine gute Sache für das grüne Gewissen und die Ökobilanz, sondern eine echte Win-Win-Situation.

„Die Bauherren, die uns die Produkte zur Verfügung stellen, sparen Deponiekosten - und können zusätzlich Geld verdienen“, analysiert Anabelle von Reutern. Am Ende des Prozesses erhalten die Unternehmen eine Ökobilanz, die genau aufschlüsselt, welche Mengen an Ressourcen und CO2 eingespart wurden. „Die Abnehmerseite erhält superspannende Materialien, die sie einbauen kann, im Idealfall zu einem günstigeren Preis.“

Nach der Vermittlung der Materialien aus der Mercedes-Benz-Arena Stuttgart hat Concular folgende Rechnung aufgestellt: Rund 137 Tonnen CO2-Äquivalente wurden beim Umbau das Projekt eingespart. Das entspricht etwa 10,8 Kilogramm CO2-Äquivalenten pro Quadratmeter und rund 547 gefahrenen Autokilometern mit Verbrennungsmotor. Eine richtig gute Erfolgsbilanz.

Bau des Unterrangs in der Mercedes-Benz-Arena Stuttgart.
Mittlerweile wird gebaut: Hier entsteht im Frühjahr 2023 gerade die Stufen des neuen Unterrangs. Dafür werden vorproduzierte Fertigteile in der Mercedes-Benz-Arena verbaut.
Foto: Armin Kilgus

Noch mehr Nachhaltigkeit beim Umbau der Mercedes-Benz-Arena Stuttgart

  • Der bei den Abbrucharbeiten anfallende Bauschutt wurde nicht einfach entsorgt, sondern im Stuttgarter Hafen zu Recyclingbeton aufbereitet. Dieser wird auf der Baustelle wiederverwendet. So können wertvolle Ressourcen geschont werden.
  • Beim Umbau kan CO2-reduzierter Beton zum Einsatz, der bei der Zementherstellung nur halb so viel CO2 freisetzt.
  • Neben dem Beton sind diverse umweltfreundliche Materialien und Technologien Teil des Umbauprojekts. So wurden im Kabinenbereich unter der Haupttribüne Lehmbauwände und Decken aus Sperrholzplatten eingebaut, die für ein angenehmes Raumklima sorgen.
  • Die Haustechnik wurde mit effizienteren Geräten ausgestattet, zum Beispiel mit einer neuen LED-Flutlichtanlage.
  • Auf dem Dach wird eine Photovoltaikanlage mit einer Fläche von 1.650 Quadratmetern installiert, die rund 10 Prozent des täglichen Strombedarfs des Stadions decken kann.