Wie die kleinste Wohnung der Welt Innenarchitektur neu denkt
Wieviel Platz benötigt ein Paar für eine Wohnung? Nicht viel, so lässt sich nach einem Besuch der Cabanon in Rotterdam sagen. 6,89 m² reichen für ein voll ausgestattetes Apartment mit vier Räumen und sogar einer Infrarotsauna und einem Whirlpool.
Die Cabanon ist die wohl kleinste Wohnung der Welt. Zugleich ist sie ein faszinierendes Raumexperiment, das Innenarchitektur in neuen Dimensionen denkt. Trotz der minimalistischen Größe bietet sie vollen Komfort. Dies ermöglichen modulare Raumhöhen und Funktionalitäten, akribisch bis ins letzte Detail geplant. Der vorhandene Platz wird optimal genutzt, ohne Ressourcen zu vergeuden.
Bei den niederländischen Architectenweb Awards gewann die Cabanon die Auszeichnung „Interior of the Year 2024“.
Entdecken Sie, welche neuen Wege die Cabanon für die Innenarchitektur aufzeigt, und kommen Sie mit auf eine gedankliche Reise um die Frage: Wie könnte das Wohnen von morgen aussehen?
In diesem Beitrag:
Wie die Cabanon unser Verständnis von Raumgröße verändert
Die Cabanon ist in vier Räume unterteilt, die sich in ihrer Höhe deutlich unterscheiden. So ist das Wohnzimmer drei Meter hoch, die Dusche knapp zwei Meter und das Schlafzimmer nur wenig mehr als ein Meter. Warum ist das so?
Der Grund für diese unterschiedlichen Raumhöhen ist ebenso erstaunlich wie einleuchtend: Die Raumgröße orientiert sich an den Funktionen, die der Raum erfüllen muss − getreu dem bekannten Designleitsatz form follows function.
Bei der Cabanon orientierten sich die Abmessungen der Räume an den Körpergrößen der Bewohner, ihren Haupttätigkeiten in den Räumen und der Größe der darin befindlichen Möbel.
So sieht die Cabanon von innen aus: Links sehen wir das Wohnzimmer − mit einem Panoramafenster, das einen Blick über die Dächer Rotterdams eröffnet. Daneben befindet sich das Spa, darüber der Schlafraum. Auf dem nächsten Bild sehen wir die Cabanon, von der anderen Seite fotografiert.
Links befindet sich das Badezimmer mit der Toilette und Dusche, dahinter liegt das Spa mit Infrarotkabine und Whirlpool. Darüber ist der Schlafbereich. Rechts ist das Wohnzimmer mit integrierter Küche.
Die vier Raumgrößen der Cabanon
Maße der vier Cabanon-Räume
- Wohnzimmer/Küche: 3m hoch, 1,50 x 1,97m groß.
- Dusche/WC: 2,13m hoch, 0,62 x 2,10m groß.
- Spa: 1,82 m hoch, 1,33 x 1,60 groß.
- Schlafzimmer: 1,14 m hoch, 1,33 x 2,03 m groß.
Raumgröße angepasst an die Bewohner und ans Mobiliar
Die Eigentümer und Architekten der Cabanon, Beatriz Ramo (STAR) und Bernd Upmeyer (BOARD), haben eine Körpergröße von 1,72 m bzw. 1,78 m. Die Räume in der Cabanon sind entsprechend ihrer Körpergröße und -breite dimensioniert:
- Wenn Beatriz und Bernd duschen, benötigen sie eine Raumhöhe von 2,13 m Höhe und eine Breite von 62 cm.
- Beim Baden oder Saunieren ist eine Höhe von 1,80 m erforderlich.
- Wenn sie schlafen oder auf ihrem Bett sitzen, brauchen sie eine Höhe von 1,14 m und eine Breite von 1,35 m.
- Einzig für den Wohnbereich wollte das Paar die großzügige Höhe von 3 Metern beibehalten.
Auch die Abmessungen des Mobiliars spielte eine Rolle bei der optimalen Berechnung der Raumgröße. Um den Bedarf an teuren, auf Maß getischlerten Möbeln zu vermeiden, wurden die vier Räume in der Cabanon auf der Grundlage von erschwinglichen Standardmöbeln gestaltet:
- die Breite des Schlafzimmers wurde an die Größe der Matratze angepasst,
- die Größe des Spa bemisst sich nach der Länge der Badewanne,
- die Küche orientiert sich an der Tiefe des Minikühlschranks.
Damit diese Planung funktionieren konnte, mussten als erstes die Möbel platziert werden (etwa die Badewanne), bevor die Wände um sie herum errichtet wurden. Ein neuer Ansatz der Innenarchitektur, die sich nicht auf eine "Befüllung" der vorhandenen Räume beschränkt, sondern hier kommen die Möbel als erstes und dann das "Drumherum".
Erst die Möbel, dann der Innenausbau: Dieser neue Ansatz findet sich auch bei einem außergewöhnlichen Re-Use-Projekt, das wir in diesem Beitrag vorstellen. Die kreativen Planer und Handwerker bauten gebrauchte Fenster und andere ausrangierte Baustoffe in ein neues Büro ein. Das funktionierte nur, weil die Maße der bestehenden Fenster die Planung fürs neue Büro mitbestimmten. Das spart Geld und Ressourcen.
Minimaler Raum mit maximalen Funktionen
Die Cabanon wurde nicht nur in ihren Raumgrößen perfekt geplant, sondern auch in ihrer Funktionalität. Auf dem komprimierten Raum bleibt praktisch kein Zentimeter ungenutzt. So sind die Wände zugleich Schränke, die jede Menge Stauraum und sogar eine integrierte Küche bieten.
Das Badezimmer enthält auf optimierten Raum eine Toilette und eine Regendusche. Der Spa verfügt über einen Whirlpool und eine Infrarotsauna . Die Gestaltung ist modern, ohne kühl zu sein, warme Farben schaffen Wohlfühlatmosphäre, grenzen die verschiedenen Räume farblich voneinander ab.
Beatriz und Bernd brauchten keine große Küche, da sie gerne auswärts essen. Sie wollten aber trotzdem die Möglichkeit haben, zu kochen. Auch das ist möglich. Das Wohnzimmer mit integrierter Küche hat ein 6 m² großes Panoramafenster mit Blick auf die Stadt.
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Was hinter dem Raumexperiment steckt
Die Cabanon ist ein Apartment, aber zugleich ist sie auch ein Raumexperiment. Die Reduktion wurde von den Architekten und Eigentümern, Beatriz Ramo und Bernd Upmeyer, nie als Sparmaßnahme oder Beschränkung verstanden, und schon gar nicht möchten sie mit erhobenem Zeigefinger moralisieren. Stattdessen möchten sie Anregungen geben, Wohnraum und Kosten zu optimieren.
Wohnflächen zu reduzieren ist für sie keineswegs die einzige Strategie für bezahlbaren Wohnraum und sie erheben auch nicht den Anspruch, das „Haus der Zukunft“ zu werden. Vielmehr möchten sie inspirieren und neue Wege aufzeigen, die den aktuellen Wohnungsbau besser und günstiger machen.
Drei Vorschläge von Beatriz und Bernd
- Optimierung des Raums – das muss nicht zwangsläufig „Reduzierung“ heißen, sondern vielmehr eine „Maximierung“ der Möglichkeiten eines Raums.
- Modulation der Raumhöhen – nicht jeder Raum muss gleich groß sein. Es kann sich lohnen, Raumhöhen zu variieren, um diese besser zu nutzen.
- Loslösung von Besitz und Konsum – um dazu anzuregen, weniger ungenutzte Gegenstände anzuhäufen, die wertvollen Stauraum kosten.
Die Cabanon ist "Interior of the Year 2024"
Die Cabanon hat bei den niederländischen Architectenweb Awards die Auszeichnung „Interior of the Year 2024“ gewonnen. Die Cabanon, die in einem Wohnhaus der Nachkriegszeit in Rotterdam realisiert wurde, sei "ein Beispiel für Genialität" urteilte die Jury. Ihre Begründung: "Die Cabanon bietet einen wunderbaren Raum, der weniger als sieben Quadratmeter groß ist, aber unglaublich clever und effizient gestaltet wurde. Durch die Verwendung unterschiedlicher Materialien und Farben für die verschiedenen Räume und die Unterbringung vieler Dinge in Schränken wirkt diese kleine Wohnung viel geräumiger, als sie tatsächlich ist."
Wie werden wir zukünftig wohnen?
Bereits heute wird in vielen urbanen Regionen Wohnraum knapper und teurer. Nur noch vergleichsweise wenige können sich heute ein neu gebautes Einfamilienhaus mit Garten leisten. Hinzu kommt: Die Mehrzahl der Städte ist praktisch „fertig gebaut“ und kann sich nur noch in die Randgebiete ausdehnen. Aber auch diese Ausdehnung ist endlich, zumal es grundsätzlich geboten wäre, weitere Bodenversiegelungen (unter anderem aus Gründen des Klimaschutzes) in unserer ohnehin schon recht "zubetonierten Welt" zu vermeiden.
Neue Wege im städtischen Wohnungsbau sind also gefragt, etwa die Nachverdichtung und Aufstockung bereits bestehender Gebäude. Auch die Cabanon entstand so: Ein bestehender Dachboden, der zuvor als Lagerraum diente, wurde in einen Wohnraum umgewandelt. Der Grundgedanke dahinter: Nach oben haben wir genug Platz.
Absehbar ist , dass sich unser Verständnis des individuellen Platzbedarfs in Zukunft deutlich verändern wird – weg vom klassischen "Groß und viel", hin zu "Clever und gut genutzt". Es muss ja nicht gleich so klein werden wie in der Cabanon, aber ganz grundsätzlich wird es darauf ankommen, Wohnkonzepte zu entwickeln, die mit weniger Fläche auskommen, aber trotzdem komfortabel sind. Kompaktes Wohnen, intelligente Raumaufteilung und gemeinschaftliche Nutzung von Flächen werden eine größere Rolle spielen.
Wir werden lernen, den Raum effizienter zu nutzen, und dabei spielt auch technologische Innovation eine große Rolle – beispielsweise mit modularen oder flexiblen Wohnlösungen, die sich den Bedürfnissen der Bewohner anpassen.
Gleichzeitig könnte auch das gemeinsame Zusammenleben stärker in den Vordergrund rücken. Co-Living-Modelle statt Single-Haushalte, Mehrgenerationenhäuser oder gemeinschaftlich organisierte Wohnprojekte könnten eine Antwort auf den wachsenden Wohnraummangel sein, vor allem in städtischen Regionen.
Wie lebt es sich in einem Mehrgenerationenhaus?
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Viele aktuelle Herausforderungen lassen sich mit technologischen Fortschritt lösen. Nachhaltige Baumaterialien, energieeffiziente Gebäude, intelligente Haustechnik und Fortschritte in der Solartechnologie zeigen bereits heute neue Wege in die Zukunft des Bauens und Wohnens.
Auch wenn uns viele Herausforderungen bevorstehen, können wir positiv in die Zukunft blicken. Der Druck, mit Ressourcen sparsam umzugehen und Wohnraum effizienter zu gestalten, wird mittel- und nachfristig zu Innovationen führen, die das Wohnen angenehmer, flexibler, nachhaltiger und (durch die "natürliche Auslese" der Marktwirtschaft) langfristig auch bezahlbarer machen.
Was glauben Sie: Wie wird das Bauen und Wohnen der Zukunft aussehen?
Bautafel & Grundrisse
Die Cabanon (Apartment mit Spa)
- Fläche: 6,89 m² (netto)
- Volumen: 21,19 m³
- Innenmaße: H: 3 m, B: 1,97 m, L: 3,6 m
- Standort: Rotterdam, Niederlande
- Zeitraum der Fertigstellung: 2014–2024 (Renovierung)
- Designteam: STAR strategies + architecture (Beatriz Ramo, Geoffrey Clamour) & BOARD (Bureau of Architecture, Research and Design; Bernd Upmeyer)
- Bau: Midwinter - Timmerwerk & Decoratie (Arjen van Caspel, Mirjam Groenendijk)
- Fotos: Ossip van Duivenbode, Models: Guido Dutilh und Boston Gallacher
Das Projekt wurde von STAR und BOARD kurz nach Abschluss eines großen Forschungsprojekts zur „Maximierung des Raums“ durch gemeinschaftliche Nutzungen im Jahr 2012 im Rahmen ihres Projekts „Co-Residence“ für das AIGP (Atelier International du Grand Paris) konzipiert. Die Cabanon wurde während der Planung von Ilot-3H in Grand Paris entwickelt, einem großen Wohnkomplex mit 288 experimentellen Wohnungen.
Grundrisse
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