Sind Tiny Houses wirklich nachhaltig?
Wohnen auf kleinem Raum, aber im eigenen Haus: Immer mehr Deutsche können sich für diese Idee begeistern. Bei vielen Herstellern stieg die Nachfrage nach Tiny Houses mit einer Wohnfläche unter 40 Quadratmetern innerhalb eines Jahres um mehr als 30 Prozent, während sie zeitgleich bei größeren Häusern zurückging.
Angesichts steigender Energiepreise hoffen die Interessenten, durch die geringe Wohnfläche den Energieverbrauch zu senken und dadurch Kosten zu sparen. Gefragt sind die Mini-Häuser auch wegen ihrer ökologischen Bauweise.
Doch sind Tiny Houses tatsächlich energieeffizienter und nachhaltiger als andere Hausformen?
Das erfahren Sie in diesem Artikel:
Was ist ein Tiny House?
Eine verbindliche Definition für ein Tiny House gibt es in Deutschland nicht. Meistens sind damit frei stehende Häuser mit einer Größe von etwa 20 bis 50 Quadratmetern Wohnfläche gemeint. Man spricht auch von Mini- oder Mikrohäusern. Zu den Vorteilen der Mini-Häuser gehört, dass sie kompakt und praktisch sind, und die Bewohner ein eigenes Stück Grün um sich haben.
Ein weiteres Merkmal ist, dass Tiny Houses transportierbar sind. Dazu haben sie entweder fest montierte Räder, die auch am Aufstellort unter dem Haus bleiben, oder sie können als Ganzes auf einem LKW oder großen Anhänger transportiert werden und am Standort auf Stelzen oder auf einem Fundament aufgerichtet werden.
Wieviel kostet ein Tiny House?
Ein Tiny House kostet ab ca. 25.000 Euro, es kann aber, je nach Ausstattung, auch bis zu 250.000 Euro kosten.
Baugenehmigung fürs Tiny House?
Wenn ein Tiny House dauerhaft bewohnt werden soll, braucht man dafür eine Baugenehmigung – auch wenn es auf Rädern steht. Dabei müssen gesetzliche Mindestanforderungen an Statik, Brandschutz und Energieeffizienz nach dem Gebäudeenergiegesetz (GEG) eingehalten werden. Lediglich von der Pflicht eines Energieausweises sind Häuser mit weniger als 50 Quadratmetern Nutzfläche ausgenommen. Tiny Houses, die nur zeitweise bewohnt werden, etwa als Ferienhaus in einer Wochenendsiedlung, und unter der 50-Quadratmeter-Grenze bleiben, sind auch von den energetischen Mindestanforderungen nach GEG befreit.
Wenig Wohnfläche − geringer Energieverbrauch?
Energieeffizienz ist ein Schlüsselfaktor, um zu beurteilen, wie nachhaltig ein Tiny House ist.
Weniger Wohnfläche, weniger Heizbedarf – dieser Zusammenhang ist zunächst naheliegend und oft durch eigene Erfahrungen in Mietwohnungen bestätigt. Warum dies aber beim Tiny House anders ist, erklärt Christian Handwerk, Tiny House-Experte vom Team Energie und Bauen der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen: „Pro Quadratmeter ist der Energieverbrauch im Tiny House etwa doppelt so hoch wie in einem Mehrfamilienhaus. Dort habe ich über mir, unter mir und seitlich noch andere Mieter, meine Wohnung grenzt an im Winter ebenfalls beheizte Bereiche. Im Tiny House dagegen habe ich oben, unten, überall nur Außenwände, also Flächen, die Wärme verlieren.“
Gegen die Wärmeverluste der Außenwände hilft nur Dämmung. Doch die ist bei vielen Tiny Houses nicht besonders gut. Eine Analyse des Bochumer Ingenieurbüros Wortmann & Wember zum Heizenergiebedarf von Tiny Houses beschreibt, woran das liegt: „Soll ein Tiny House mobil bleiben, darf es nicht breiter als 2,55 Meter sein. Jeder Zentimeter mehr Außendämmung bedeutet daher einen Zentimeter weniger Breite zum Wohnen.“
Um die gesetzlichen Vorgaben an Energieeffizienz einzuhalten, so die Experten für Energie- und Wärmetechnik, würden ca. 20 Zentimeter Dämmung benötigt, was die Hausinnenbreite auf etwa 2 Meter reduziert. Ab 2023 werden die Anforderungen durch das Gebäudeenergiegesetz sogar noch strenger.
Das Team von Wortmann & Weber hat den Energiebedarf anhand von drei unterschiedlichen Tiny-House-Modellen durchgerechnet:
- Nummer eins entsprach dem gesetzlichen Mindeststandard. Es verbraucht zwar pro Person weniger Heizenergie als ältere, unsanierte Bestandsgebäude, erreicht aber dennoch nur das energetische Niveau eines um das Jahr 2000 errichteten Mehrfamilienhauses.
- Das zweite Modell war eine DIY-Variante nach Anleitung aus dem Internet mit wenig Dämmung. Energetisch entsprach es einem Einfamilienhaus aus den 1980er- bis 1990er-Jahren.
- Nur Modell Nummer drei, ein Tiny House in Passivhausausführung, verbrauchte weniger Heizenergie als der gesetzliche Standard, allerdings auf weniger als einem Drittel der Wohnfläche.
Besser mit eigenem Solarstrom
Mit einer eigenen Photovoltaikanlage lässt sich die Energiebilanz des Tiny House verbessern. Der Strombedarf ist, bei entsprechendem Verhalten, im sehr kleinen Haus tatsächlich niedrig. Schon aus Platzgründen wird oft auf Spülmaschine oder auch Backofen verzichtet. Sofern genug davon vorhanden, kann der klimafreundliche PV-Strom auch zum Heizen genutzt werden.
Einen Haken hat die Sache allerdings, wie Christian Handwerk von der Verbraucherzentrale erklärt: „Um tatsächlich autark in der Energieversorgung zu sein, muss man den Strom am Haus speichern. Aber abgesehen davon, dass sich eine Batterieanlage in den meisten Fällen finanziell nicht so sehr lohnt, bedeutet sie mehr technischen Aufwand und vor allem Platzbedarf. Und im Tiny House ist nun mal jeder Quadratmeter kostbar.“
Das ownhome − ein autarkes Tiny House für alle
Das ownhome ist ein Tiny House zum Selbstbauen, entworfen von Klemens Jakob. Das kleine Haus hat einen möglichst geringen Ressourcenverbrauch und ist als Open Source Projekt angelegt. Zudem erzeugt, speichert und verbraucht es seinen eigenen Strom und hat einen eigenen Wasserkreislauf; somit ist es autark. Klemens Jakob stellt uns die Vision hinter ownhome vor »
Tiny House als Mittel gegen Flächenfraß?
Täglich wird in Deutschland eine Fläche von fast 60 Hektar für Bauland und Infrastruktur neu ausgewiesen. Damit gehen vor allem landwirtschaftliche Flächen und fruchtbarer Boden verloren – mit negativen Folgen für die Umwelt. Im Rahmen der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie soll dieser Flächenverlust bis 2030 auf unter 30 Hektar pro Tag verringert werden. Können Tiny Houses einen Beitrag dazu leisten? Das scheint zunächst plausibel, denn für ein kleineres Haus reicht auch ein kleines Grundstück.
In der Realität aber ist es oft gar nicht so einfach, ein wirklich kleines Grundstück für ein Tiny House zu finden. Holger Freitag vom Verband Privater Bauherren (VPB) begründet das: „Kommunen haben ein starkes Interesse an einer möglichst intensiven Nutzung des ausgewiesenen Baulands. Bebauungspläne, die speziell auf den Bau von Minihäusern zugeschnitten wären, sind zwar denkbar, aber entsprechen nicht dem Trend zur Nachverdichtung in den Innengebieten der Gemeinden.“
Christian Handwerk von der Verbraucherzentrale zieht auch hier den Vergleich zum größeren Gebäude mit mehreren Wohneinheiten: „Pro Person braucht ein Tiny House deutlich mehr Platz als ein Mehrfamilienhaus.“ Das gelte seiner Meinung nach auch für Tiny Houses, die auf Stelzen oder Rädern stehen. „Auch wenn es nicht zur Versiegelung kommt, hat das Grundstück durch den Stellplatz, durch Mülltonnen, durch die Nutzung des Grundstücks nicht mehr den gleichen Wert für die Biodiversität wie ungenutzter Boden.“
Das heißt, in puncto Flächenbedarf sind Tiny Houses nur dort sinnvoll, wo man kein größeres Haus bauen könnte. Das können beispielsweise sehr enge Baulücken, Brachflächen zur Zwischennutzung oder das Grundstück eines bestehenden Einfamilienhauses sein.
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Wie ökologisch ist die Bauweise?
Tiny Houses werden meist in Holzbauweise hergestellt, neben dem Grundstoff Holz kommen oft noch weitere ökologische Materialien, zum Beispiel Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen zum Einsatz. Allerdings braucht man für ökologische Dämmstoffe eine höhere Wandstärke, um die gleiche Dämmwirkung zu erzielen, wie etwa mit synthetischen Materialien wie Polystyrol (Styropor). Das führt zu dem schon im Zusammenhang mit dem Energiebedarf beschriebenen Wohnflächenverlust. Deshalb entscheiden sich viele Mini-Bauherren dann doch für eine wenig nachhaltige Dämmung auf Erdölbasis.
Nicht nur die Qualität, sondern auch die Menge der verarbeiteten Baustoffe spielt eine Rolle bei der Beurteilung der Nachhaltigkeit eines Hauses. Da ein Tiny House praktisch nur aus Außenwänden besteht, ist auch der Rohstoffverbrauch pro Quadratmeter höher als bei einer gleich großen Wohnung.
„Ein Tiny House kann man sicherlich nachhaltig aufbauen und betreiben, mit nachhaltiger Energieerzeugung und nachhaltigen Baustoffen“, so das Fazit von Christian Handwerk, „allerdings ist ein Mehrfamilienhaus mit ähnlich kleinen Wohneinheiten eindeutig nachhaltiger, denn es verbraucht unterm Strich weniger Boden, weniger Energie und auch weniger Rohstoffe.“
Diese ökologischen Dämmstoffe eignen sich fürs Tiny House
Wenn man ein Tiny House baut, dann sollte man auf jeden Fall auf nachhaltige Baustoffe setzen, meint Handwerk. Aus dem großen Angebot an ökologischen Dämmstoffen nennt er drei spezielle Empfehlungen fürs Tiny House:
- Schafwolle hat für nachwachsende Rohstoffe eine sehr hohe Dämmwirkung. Außerdem kann sie Schadstoffe aus der Luft filtern, was gerade im kleinen Haus für die Wohngesundheit wichtig ist.
- Zellulose ist ein nachhaltiges Upcycling-Produkt aus Zeitungspapier.
- Hanffaser ist ein nachwachsender Rohstoff, dessen Herstellung vergleichsweise wenig Energie verbraucht. Weil er eiweißfrei ist, wird der Hanf nicht von Nagern befallen, deshalb sind weniger chemische Zusatzstoffe nötig.
Nachhaltiger leben im Tiny House
Betrachtet man nicht nur das Gebäude an sich, sondern auch die Lebensweise seiner Bewohner, könnte sich die Nachhaltigkeitsbilanz der Tiny Houses verbessern. Allein der begrenzte Wohnraum zwingt zu einem minimalistischen Lebensstil, jede Anschaffung muss schon aus Platzgründe wohl überlegt sein.
Die amerikanische Umweltplanerin Maria Saxton hat für ihre Dissertation 80 Personen befragt, die von einem größeren Haus in ein Tiny House umgezogen sind und ihren ökologischen Fußabdruck ermittelt. Erfasst wurden die Bereiche Ernährung, Wohnen, Mobilität, Konsum und Dienstleistungen. Tatsächlich verringerte sich der ökologische Fußabdruck, dargestellt in der Maßeinheit „globaler Hektar (gHa) nach dem Umzug um 45 Prozent.
Was ist ein globaler Hektar?
Der globale Hektar (gHa) ist eine Maßeinheit für den ökologischen Fußabdruck, das heißt, den Ressourcenverbrauch von Einzelpersonen, Haushalten, Städten oder Ländern. Er entspricht einem Hektar Land mit weltweit durchschnittlicher Produktivität.
Experten, die das Tiny House unter Nachhaltigkeitsaspekten kritisch sehen, wollen das Konzept nicht als Ganzes abschreiben. So sieht auch das Team Wortmann & Weber in dem angestrebten Minimalismus eine Chance. „Letztlich ist das Tiny-House-Konzept ein sinnvoller Denkanstoß“, heißt es in ihrer Analyse, „und führt uns vor Augen, welches Potenzial in der Reduktion auf das Wesentliche steckt.“
Fazit: Tiny Houses sind nur bedingt nachhaltig
- Im Vergleich zu einer Wohnung hat das Tiny House einen etwa doppelt so hohen Energiebedarf, auch an der Dämmung hapert es bei vielen Tiny Houses.
- Durch den Einsatz ökologischer Baustoffe oder erneuerbarer Energien, wie Photovoltaik, lässt sich die Energiebilanz verbessern.
- Im Vergleich mit einem Mehrfamilienhaus braucht ein Tiny House pro Person deutlich mehr Platz als ein Mehrfamilienhaus. Für nachhaltige Flächennutzung sollten Tiny Houses nur dort stehen, wo für andere Häuser kein Platz ist.
- Tiny Houses begünstigen eine nachhaltige, weil minimalistische Lebensweise ihrer Bewohner.
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