Urlaub im Gefängnis: Hotel Wilmina in Berlin
Ein rund 125 Jahre altes Gefängnis verwandelt sich in ein einzigartiges Hotel. Mitten in Berlin und mit kluger, nachhaltiger Planung. Das Hotel Wilmina erhielt dafür den Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur 2022. Ein Rundgang durch eines der ungewöhnlichsten Hotels Deutschlands.
Vom Gefängnis zum exklusiven Hotel
Es ist eigentlich ein schaudervoller Gedanke: Würden Sie in einem ehemaligen Gefängnis nächtigen wollen, in dem schon die Gegner des NS-Regimes inhaftiert wurden? Ist so ein Ort nicht toxisch und für alle Zeit ein dunkles Mal?
Das Architektenpaar, das 2022 das zuvor von ihnen umgebaute Hotel Wilmina in der Berliner Kantstraße eröffnete, hat den Glauben daran nicht verloren, dass man solche Orte heilen kann. Mehr noch: Der Umbau zum Hotel wurde mit viel Bedacht und Sorgfalt unter nachhaltigen Gesichtspunkten durchgeführt. Und das gelang so gut, dass die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) den Entwurf zum Sieger des Deutschen Nachhaltigkeitspreises Architektur 2022 kürte.
Der Nachhaltigkeitspreis der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB)
Im Begründungsschreiben der Jury zum Gewinner 2022 heißt es: „Das Hotel Wilmina ist ein einzigartiges architektonisch-dialektisches Ensemble aus kulturgeschichtlichem Bewusstsein und zugewandtem Ort. Das Projekt regt nicht nur zum Nachdenken über das Wesen von Gemeinschaft, Generationen und städtischen Gegensätzen an. Es zeigt ganz beiläufig auf, welche ökologischen Möglichkeiten die Neuprogrammierung auch von herausforderndem baulichem Erbe bietet, und ist damit ein im besten Sinne nachhaltiges Architekturprojekt.“
Einen Ort umprogrammieren
Das Besondere an dem Projekt: Hier wurde in doppeltem Sinne mit der Geschichte des Ortes gerungen. Einerseits mussten die Berliner Architekten Grüntuch Ernst die Bedeutung des Ortes sozusagen umkehren, sie sprechen davon, ihn „umzuprogrammieren“. Ein Ort der Asozialität, des Zerstörens, der Entpersönlichung sollte zu einem Ort der Gemeinschaft werden, des Miteinanders, der Kommunikation und der Begegnung.
Andererseits sollte dabei möglichst schonend mit der vorhandenen Bausubstanz umgegangen werden, wenig verworfen, viel gerettet und erneut genutzt werden. Flächen sollten entsiegelt, die Natur zum Blühen – oder doch zumindest zum Grünen - gebracht werden. Sozialität und Nachhaltigkeit sollten miteinander in Dialog treten. Und das alles mit den Mitteln der Architektur.
Der Natur einen Platz geben
Beim Eintreten ins Hotel durchqueren Besucher zuerst das Vorderhaus und gelangen durch eine Reihe von Innenhöfen tiefer ins Ensemble, wo die Durchgänge und Räume immer privater werden.
Im zentralen großen Garten angekommen, hat es den Anschein, als ob alles schon immer so gewesen sei. Hier gibt es hohe Bäume, ungezügelte Sträucher, Hecken und Kletterpflanzen, die sich über viele Jahre ungehindert ausbreiten konnten. Große Teile des ehemalig asphaltierten Hofes wurden für die Natur geöffnet und mit üppigen Staudenbeeten bepflanzt, was eine überraschende Naturinsel inmitten des ansonsten dicht bebauten Stadtblocks bildet.
Dieser Garten wirkt wie ein verwunschener Ort und bildet einen Kontrast zum Repräsentationsbedürfnis des Gebäudekomplexes, der aus dunklem Ziegelstein errichtet wurde. Während der Baumaßnahmen konnten die Fassadenbegrünungen weitestgehend erhalten bleiben. Mehr noch: Zusammen mit intensiv und extensiv begrünten Dächern sind 30 Prozent der Gebäudehülle begrünt.
Spaziergang durch die Vergangenheit
Wer den begrünten Garten durchquert, dem fällt auf, wie es dem Architektenpaar gelungen ist, das Bedrückende des Gebäudekomplexes ins Gegenteil zu verkehren – indem sie Enge in Weite und gedrungene Formen in ausladende Großzügigkeit verwandelt haben.
Der ehemalige Schleusenhof dient jetzt als Restaurant. Früher war es der Zugang zu den Zellentrakten.
Der Haupteingang des Hotels wurde durch Erweiterung einer Fensteröffnung am Gartenhof zu einer Tür geschaffen. Die Gäste werden dort von einem hellen und hohen Empfangsraum begrüßt, der zu einer Kaminlounge und einem Bibliotheksbereich führt. Eine Treppe führt zum Atrium, dem Kernstück des Gebäudes im ehemaligen Zellentrakt, wo sich heute Hotelzimmer in verschiedenen Größen befinden.
Der ehemalige Zellentrakt ist auch heute noch als solcher zu erkennen. Er wurde umgebaut und erstreckt sich nun über fünf Etagen: vier Bestandsgeschosse und eine neue, aufgestockte Penthouse-Etage. Entlang schmaler Galerien mit schmiedeeisernen Brüstungen reihen sich Türen aneinander – hier ist der Gefängnischarakter noch zu ahnen. Aber alles ist heller und freundlicher.
Dazu trägt etwa die Ziegelsteinwand im Hoteltrakt bei, die hell geschlämmt wurde und daher licht und ätherisch wirkt. Ein prägendes, eindrucksvolles Element im Hotel sind Leuchten, die aus zahlreichen kleinen Glaskugeln bestehen. Diese Bocci-Leuchten finden sich überall, sie spiegeln sich in den großen Fensterfronten und machen daraus eine Lichtinstallation, die dem Gebäude erneut die Erdenschwere nimmt und es fast verspielt wirken lässt.
Mehr Luft und Licht
Trotz der Umgestaltungen: Die Geschichte des Gebäudes bleibt präsent – etwa in Form der alten Gefängnistüren, die freilich an moderne Ansprüche des Brandschutzes angepasst werden mussten.
Eine Zelle am hinteren Treppenhaus wurde im Originalzustand erhalten, um Besuchern Einblicke in die Geschichte des Gebäudes zu geben. Diese Zelle dient als Dokumentationsraum, in dem verschiedene Materialien ausgestellt werden.
Die winzigen Zellen wurden teilweise aufgebrochen und zusammengelegt. Zusammen mit der Penthouse-Aufstockung sind so insgesamt 44 Zimmer entstanden. Deren Kleinstes lässt etwas von der ehemaligen Enge erahnen – es hat nur 11 Quadratmeter und wird fast vollständig vom Bett eingenommen. Der Garde Loft auf der anderen Seite bietet üppige 75 Quadratmeter mit perfektem Ausblick.
Eine wichtige Veränderung an den Zellen führte zu einer vollkommen neuen Raumwirkung. Das Architektenpaar hat eine wichtige Entscheidung getroffen, als es die Zellenfenster vergrößerte. Die Brüstung war vorher so hoch, dass die früheren Insassen nur den Himmel sehen konnten. Es wurde beschlossen, die Fenster zu vergrößern, indem sie aufgeschnitten und das alte Fensterbrett weiter unten wieder ins Mauerwerk eingesetzt wurde. Die alten Gitter blieben im oberen Fensterteil erhalten und erinnern auch an dieser Stelle wieder an die Vergangenheit. Die herausgenommenen Steine wurden gesammelt und für den neuen Anbau des Restaurants genutzt.
Recycling von Baustoffen als Prinzip
Einer der Gründe für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis: Das alte Gebäude wurde behutsam umgebaut, anstatt es abzureißen und neu zu bauen. Dadurch wurden weniger CO2-Emissionen produziert und weniger Bauschutt erzeugt.
Außerdem konnten viele Materialien wiederverwendet werden. Das Gebäude hat jetzt eine bessere Klimatisierung und braucht weniger Technik. Die Innenhöfe bieten einen akustischen Schutz, was eine natürliche Fensterlüftung auch nachts ermöglicht. Die intensive Begrünung sowohl im Innenhof als auch im kleinen umschlossenen Garten fördert die Biodiversität und schafft ein angenehmes Mikroklima.
Die Architekten Grüntuch Ernst und die Neugestaltung des Hotel Wilmina
Grüntuch Ernst Architekten wurde 1991 von Armand Grüntuch und Almut Grüntuch-Ernst in Berlin gegründet. Das Architektenpaar erwarb, nachdem ein Investor kein Interesse zeigte, das gesamte Ensemble um das ehemalige Frauengefängnis, und sanierte es innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren. Heute betreiben sie das Hotel Wilmina selbst.
Der Gebäudekomplex wurde im Jahr 1896 von den Architekten Adolf Brückner und Eduard Fürstenau als Strafgericht mit Gefängnis errichtet. Im Vorderhaus an der westlichen Kantstraße war das Schöffengericht untergebracht, während sich in dem angegliederten Seitenflügel die Tageszellen befanden. Über einen Innenhof gelangte man zum Quergebäude mit dem Schleusenhof und dem Hinterhaus, in dem sich das Frauengefängnis befand. Während des Zweiten Weltkriegs waren hier unter anderem Widerstandskämpfer inhaftiert. Das Gebäude wurde bis 1985 als Gefängnis genutzt und stand seitdem leer. Bis 2010 befanden sich im Gerichtsgebäude das Grundbuchamt und das Archiv des Stadtbezirks Charlottenburg.
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