Serielles Sanieren: So funktioniert der "Energiesprong"

Serielles Sanieren
Foto: Renowate

Altbauten zu sanieren ist zeitaufwändig, teuer und bringt am Ende gar nicht so viel Energieeinsparung? Es geht auch anders – das zeigen serielle Sanierungsansätze wie das aus den Niederlanden stammende Energiesprong-Konzept.

Mit digitaler Planung und vorgefertigten Bauelementen sind in kürzester Zeit und bei moderaten Kosten tatsächlich wahre „Energiesprünge“ machbar.

  1. Energetische Sanierung – es drängt!
  2. Sprünge statt Trippelschritte
  3. Das Modell Energiesprong
  4. Energiesprong in Deutschland
  5. Von den Niederlanden lernen
  6. Fazit: Den Energiesprung wagen!

Christian Mascheck
Fachautor CRADLE

Energetische Sanierung – es drängt!

  • Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral sein.
  • Etwa 40 Prozent der CO2-Emissionen verursacht der Gebäudesektor.
  • Rund drei Viertel aller Bestandsgebäude in Deutschland gelten als sanierungsbedürftig.

Aus diesen drei Zahlen lässt sich nur eines schließen: Es muss bei der energetischen Sanierung ganz schnell ganz viel passieren, damit das Klimaziels erreicht werden kann. Noch kommen Sanierungen viel zu zäh voran. Die Debatte um das kommende Aus für Öl- und Gasheizungen zeigt, wie sehr wir uns im Kreis drehen. „Ich würde ja gerne auf eine Wärmepumpe umsteigen,“ sagen Hausbesitzer, „aber dann muss ich doch erst mein Haus dämmen und die Fenster austauschen – das ist mir zu viel Aufwand, und wer garantiert mir, dass sich das am Ende rechnet?“

Es stimmt leider: Eine herkömmliche Sanierung ist mühsam und kostet viel Geld. Sie besteht aus vielen einzelnen Gewerken, für die man jeweils eigene Handwerksbetriebe braucht. Jede einzelne Dämmplatte wird von Hand angebracht. Dafür lebt man monatelang auf einer Baustelle oder muss sogar vorübergehend ausziehen. Mieter fürchten, dass sie nach einer Sanierung ihre Miete nicht mehr bezahlen können und trauen den Versprechungen von Energieeinsparungen nicht.

Sprünge statt Trippelschritte

Vorfertigung im Werk
In der Fabrik werden ganze Gebeäudeteile vorgefertigt.
Foto: Ecoworks / Bachmann Photography

Stellen Sie sich stattdessen folgendes Szenario vor: Am Morgen fährt ein Laster mit einem vorgefertigten Fassadenelement vor. Als maßgeschneiderte Hülle wird es mit Hilfe eines Baukrans über Ihr altes Haus gestülpt. Es folgt das Dach, komplett mit Solaranlage. Sogar die neue Haustechnik, selbstverständlich mit Lüftungsanlage und Wärmepumpe, wird als fertiges Modul geliefert und ist entsprechend schnell eingebaut.

In wenigen Tagen wird aus der Energieschleuder ein Energiegewinner, ein klimaneutrales, nachhaltiges Gebäude – und das zum bezahlbaren Preis!

So läuft eine Sanierung nach dem in den Niederlanden schon sehr erfolgreichen Energiesprong-Prinzip ab. Es ist das derzeit am weitesten entwickelte Konzept des sogenannten seriellen Sanierens. Wie beim Bau von neuen Fertighäusern wird mit vorgefertigten Bauelementen gearbeitet, die vor Ort einfach und schnell installiert werden können. Das spart Zeit und Geld.

Ablauf Energiesprong
Energiesprong ist ein System aus Modellierung, Projektierung, Umsetzung und Evaluation.
Foto: dena

Was ist serielles Sanieren?

Digitalisierung und industrielle Vorfertigung sind die wichtigsten Elemente des seriellen Sanierens. Der Ablauf in vier Schritten:

  1. Digitales Vemessen: Bei Bestandshäusern sind selten ausreichende Pläne vorhanden. Mit einem 3-D-Laserscanner am Boden und einer Drohne über dem Dach lässt sich das Gebäude schnell und millimetergenau vermessen und digital abbilden.
  2. Digitales Planen: Mit dieser Datenbasis lassen sich die einzelnen Module mithilfe standardisierter Verfahren planen. Grundlage ist das Building Information Modelling (BIM).
  3. Modulares Vorfertigen: Fassaden-, Dach- und Haustechnikmodule werden in hochautomatisierten Prozessen in der Fabrik hergestellt. Weil jedes Modul zu einem bestehenden Gebäude passen muss, ist aber mehr Flexibilität nötig als bei Fertighäusern.
  4. Montage: Die kompletten Module werden zur Baustelle transportiert und dort montiert. Das dauert meist nur wenige Tage, allerdings sind Vorarbeiten wie Gerüstarbeiten, Ausbauen von alten Fenstern oder Türen, Freilegen des Dachstuhls erforderlich. Auch Sockelbereich oder Kellerdecken werden extra gedämmt.

Das Modell Energiesprong

Vermessungsdrohne
Die Vermessung des sanierungsbedürftigen Gebäudes erfolgt mit einer speziellen Drohne.
Foto: Klaus-Dieter Schreier/dena

Energiesprong wurde in den Niederlanden entwickelt und dort seit 2010 angewendet. Es handelt sich um ein umfassendes Konzept zur Sanierung, das nicht nur innovative Bautechnik, sondern auch ein Finanzierungsmodell und Qualitätssicherung umfasst.

Das sind die Kernpunkte von Energiesprong

  • Kurze Sanierungszeit: Digitale Planung und industrielle Vorfertigung von Bauelementen ermöglichen es, die Gebäude in bewohntem Zustand innerhalb von Tagen bis wenigen Wochen zu sanieren.
  • NetZero-Standard: Nach Sanierung erzeugen die Gebäude übers Jahr selbst so viel Energie, wie die Bewohner für Heizung, Warmwasser und Strom benötigen.
  • Haustechnik: Nur die Gebäudehülle zu sanieren, reicht für NetZero nicht aus. Energiesprong setzt auf regenerative Energietechnik mit Luft-Wasser-Wärmepumpe, Photovoltaikanlage, Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, Wärmespeicher, Energiemanagementsystem.
  • Langjährige Qualitätsgarantie: Die Sanierung wird von Generalübernehmern ausgeführt, die über einen Zeitraum von 10 bis 30 Jahren vereinbarte Leistungsmerkmale und den NetZero-Standard garantieren.
  • Bezahlbarkeit: Die Maßnahmen sollen sich primär durch Energieeinsparungen refinanzieren. Für Mieter bleibt im Idealfall die Warmmiete konstant.

Zur Umsetzung von Energiesprong wurde eine Non-Profit-Organisation („Stroomversnelling“) gegründet. Inzwischen wurden in den Niederlanden bereits mehr als 5.000 Wohnhäuser, zum großen Teil landestypische Reihenhäuser, nach dem Energiesprong-Konzept saniert. Andere Länder, unter anderem Frankreich, Belgien und Großbritannien haben die Idee übernommen. Seit 2017 ist auch Deutschland mit Pilotprojekten dabei.

Energiesprong in Deutschland

Die Deutsche Energie-Agentur (dena) koordiniert hierzulande die Umsetzung und Marktentwicklung der Energiesprong-Idee im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK) und in Kooperation mit dem Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen. Der Fokus liegt zunächst auf Mehrfamilienhäusern von Wohnungsbauunternehmen.

Insbesondere Gebäude aus den 1950er- bis 1970er-Jahren gelten wegen ihrer einfachen Gebäudehülle und einem hohen Energieverbrauch als geeignete Energiesprong-Kandidaten. Mehrfamilienhäuser dieser Kategorie umfassen mindestens drei Millionen Wohneinheiten. Auch rund vier Millionen Einfamilienhäuser hält die dena grundsätzlich für die serielle Sanierung geeignet.

Derzeit befindet sich die Marktentwicklung von Energiesprong in Deutschland laut dena im Übergang von der Pilotphase zu ersten Kleinserien. Vier Sanierungen sind abgeschlossen, neun in der Umsetzung, rund 50 in Planung.

Pilotprojekt: Energiesprong über alle Klassen

Eines der Energiesprong-Pilotprojekte ist die Sanierung von zwei Mehrfamilienhäusern mit insgesamt 47 Wohneinheiten in der Zeppelinstraße in Mönchengladbach. Es war das erste Projekt des Start-Ups Renowate, einem Gemeinschaftsunternehmens des Wohnungskonzerns LEG Immobilien und des Bauunternehmens Rhomberg Bau.

Der Bestand: Bauzeit Ende 1950er-Jahre, klassische Nachkriegsbauten (z.B. Zeitungspapier als Dämmmaterial), schlechteste Energieeffizienzklasse H

Maßnahmen: Vorgefertigte Holz-Rahmen-Fassade inklusive Fenster und Rollläden, Dämmung und Neueindeckung des Dachs, Dämmung der Sockelbereiche, fensterintegrierte Lüftung mit Wärmerückgewinnung in jedem Raum, je Objekt drei Wärmepumpen für Heizung und Warmwasser.

Bauzeit: ca. fünf Monate (2022) im bewohnten Zustand

Kosten: 4,6 Millionen Euro

Erfolg: Nach Sanierung 90 Prozent weniger Primärenergieverbrauch, Energieeffizienzklasse A (Neubaustandard)

Besonderheiten: erhöhter Planungsaufwand durch ein Fremdobjekt zwischen den Gebäuden; Wärmepumpen wurden im Dachboden auf der Südseite installiert, wo sie aufgrund höherer Temperaturen effizienter arbeiten als im Keller oder Außenbereich.

Herausforderungen: Wegen ungeklärter Fragen beim Mieterstrom wurde noch keine PV-Anlage installiert, die für den NetZero-Standard notwendig wäre. Die Wärmepumpen laufen derzeit mit grünem Netzstrom.

Von den Niederlanden lernen

Energiesprong Pilotprojet in Mönchengladbach
Im Pilotprojet in Mönchengladbach schweben die gedämmten Fassadenteile zur Montage am bestehenden Baukörper heran.
Foto: Ecoworks

Energiesprong-Projekte wie das in der Mönchengladbacher Zeppelinstraße zeigen, was auch in Deutschland im Bereich der seriellen Sanierung möglich ist: Eine drastische Reduktion des Energieverbrauchs, Aufstieg von der schlechtesten in die beste Energieeffizienzklasse in vergleichsweise kurzer Sanierungszeit – ein großer Erfolg!

Sie geben auch Beispiele für kreative Lösungen im Einzelfall, etwa die Aufstellung der Wärmepumpe unterm Dach, um von wärmerer Luft profitieren zu können. Sie machen aber auch Probleme deutlich, so im Beispiel Mönchengladbach ungeklärte Fragen des Mieterstroms, die zu Verzicht auf eine PV-Anlage führte.

Hier lohnt noch einmal ein Blick in die Niederlande, wo das serielle Sanieren mit Energiesprong schon viel weiter fortgeschritten ist. Was ist im Nachbarland anders in Hinblick auf die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen und: Was können wir daraus lernen?

Eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamts hat folgende Problembereiche identifiziert:

  • Trennung von Strom und Wärme: In den Niederlanden ist es rechtlich möglich, dass der Vermieter die komplette Energieversorgung (Wärme und Strom) übernimmt, während beides in Deutschland strikt getrennt abgerechnet wird.
  • Föderales Baurecht: Je größer die Stückzahlen, desto rentabler die industrielle Vorfertigung von Bauteilen. 16 unterschiedliche Bauordnungen der Länder, zum Beispiel mit abweichenden Brandschutzbestimmungen, setzen da Grenzen.
  • Baugenehmigungen: Im Gegensatz zu Deutschland ist der digitale Bauantrag in den Niederlanden schon längst üblich. BIM-basierte Energiesprong-Sanierungen, also aufgrund von digitalen Modelldaten, ist dafür bestens geeignet.
Digitale VErmessung für Energiesprong
23 Gebäude in drei Tagen: Die GEWOBAU Erlangen hat im Rahmen des bundesweit größten Energiesprong-Projekts mehrere Wohngebäude digital vermessen lassen.
Foto: Klaus-Dieter Schreiter

Förderung für serielles Sanieren

Serielle Sanierungen werden vom Bund über Programme der KfW-Förderbank und des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) gefördert:

  • KfW: Im Rahmen der „Bundesförderung für effiziente Gebäude“ (BEG) gibt es ab 2023 einen Förderbonus von 15 Prozent für serielle Sanierungen (SerSan-Bonus). Gefördert werden sowohl private Eigentümer und Wohneigentumsgemeinschaften, als auch Unternehmen, Wohnungsbaugenossenschaften oder Kommunen.
  • BAFA: Das Programm „Förderung der Seriellen Sanierung“ richtet sich an Unternehmen und fördert Pilotprojekte zur Entwicklung und Erprobung serieller Sanierungskomponenten sowie den Aufbau entsprechender Produktionskomponenten.

Fazit: Den Energiesprung wagen!

  • Serielle Sanierung mithilfe digitaler Planung und vorgefertigter Module vereinfacht und beschleunigt den energischen Umbau von Bestandsgebäuden.
  • Das Energiesprong-Prinzip aus den Niederlanden ermöglicht nachhaltige Sanierungen bis zur Klimaneutralität. Pilotprojekte nach Energiesprong-Modell sind auch in Deutschland erfolgversprechend. Die Rahmenbedingungen für Sanierungen nach Energiesprong in Deutschland, etwa im Baurecht, sind noch verbesserungswürdig.