Kletterpflanzen: Wirksames Schutzschild gegen den Klimawandel

Kletterpflanzen schützen gegen Hitzewellen
Foto: OMC°C/Ingmar_Kurth

Städte werden im Sommer zu wahren Hitzeinseln, die sich deutlich stärker aufheizen als das ländliche Umfeld. Dabei ließe sich mit Parks, Grünflächen und Kletterpflanzen wirksam gegensteuern. Wir stellen die besten Lösungen gegen städtische Hitzewellen vor.

  1. Heißes Pflaster: Warum unsere Städte immer wärmer werden
  2. Grün gegen Grau: Pflanzen als Hitzeblocker
  3. Die Macht der Ranken: Pflanzensegel gegen überhitzte Städte
  4. Fazit: Lösungen gegen heiße Städte

Kerstin Dunker
Leitung Online-Redaktion CRADLE

Heißes Pflaster: Warum unsere Städte immer wärmer werden

Grafik Temperatur Deutschland
Deutschland heizt sich auf: Anstieg der jährlichen Durchschnittstemperatur im Zeitraum von 1960-2018. Quelle: European Data Journalism Network

Hitzewellen werden durch den Klimawandel häufiger. Seit 1980 hat sich die Zahl der Hitzewellen verdoppelt und (je nach Region) sogar verdreifacht. Besonders Städter leiden darunter: Bis zu zehn Grad Unterschied beträgt die Differenz zwischen aufgeheizten Städten und ländlichen Umland.

Starke Hitze schlaucht: Wir arbeiten wir nicht mehr so produktiv, bewegen uns weniger, schlafen schlechter. Besonders für kleine Kinder und alte Menschen kann Hitze sogar zum Gesundheitsrisiko werden. Sie führt schon heute zu erhöhten Sterberaten an heißen Tagen.

Der Grund für die steigenden Temperaturen liegt aber nicht nur am Klimawandel, sondern auch an den Städten selbst. Dichte Bebauung, dunkle Dächer und großflächige Bodenversiegelung mit Beton, Asphalt und Pflaster machen Städte zu wahren Hitzespeichern. Sie speichern die Hitze des Tages stärker, geben sie nachts nur langsam wieder ab.

Städte als Wärmeinseln

Stadtgebiete heizen sich deutlich schneller auf als das Umland. Dieser Hitze- bzw. Wärmeinseleffekt (UHI-Effekt) wurde bereits in mehreren Studien untersucht. Laut Umweltbundesamt (UBA) liegt dieser Temperaturunterschied bei bis zu 10 Grad.

Städtische Wärmeinseln treten das ganze Jahr auf, verstärkten sich aber im Sommer und besonders nachts: "Tropennächte" mit Temperaturen über 20 Grad kommen mittlerweile bis zu zu dreimal häufiger vor. Die Wärmeinseln bilden dabei keine einheitliche Zone. Man kann es sich eher vorstellen wie einen Flickenteppich verschiedener Mikroklimata: je stärker die Bebauung, je kleiner die Grün- oder Wasserflächen, desto höher die Temperatur.

Mit Blick auf den Klimawandel wird sich der urbane Hitze- bzw. Wärmeinseleffekt in den nächsten Jahren verstärken − und damit auch die Zahl der Tropennächte und Hitzetage.

Grün gegen Grau: Pflanzen als Hitzeblocker

Klimaanlage an der Fassade
Klimaanlage oder Fassadenbegrünung: Was hilft besser gegen Hitze? Die Antwort ist eindeutig.
Foto: Unsplash/Kira Porotikova

Die gute Nachricht ist: Es gibt wirksame Lösungen gegen heiße Innenstädte. Spoiler: Klimaanlagen sind es nicht. Dem einzelnen mögen sie zwar kurzfristig Kühlung verschaffen. Aber wie man aus Ländern wie den USA und China weiß, in denen häufig Klimaanlagen eingesetzt werden, verstärken sie das Problem sogar noch. Sie verbrauchen nicht nur viel Energie, sondern leiten zusätzliche warme Luft auf die Straßen.

Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamts, weiß: „Wir sind dem Hitzeinseleffekt nicht schutzlos ausgeliefert“. Laut einer Studie seiner Behörde sind Pflanzen jeder Art die wirksamsten Hitzeblocker.

Vor allem Bäume und Sträucher sind echte Wunderwaffen im Kampf gegen städtische Hitzewellen. Ihr Blätterdach spendet Schatten und kühlt durch Verdunstung. Was banal klingt, hat einen deutlich messbaren Effekt: Laut einer Studie italienischer Forscher reduziert sich die Lufttemperatur während sommerlicher Hitzephasen um bis zu 5 Grad, die Oberflächentemperatur sogar um bis zu 25 Grad. Außerdem verbessern sie die Luftqualität und halten schädliche UV-Strahlung ab.

Forscher des Instituts für Ökologie der Technischen Universität Berlin haben nachgewiesen, dass der kühlende Effekt von Parks und Grünflächen in Städten noch 100−300 Meter weiter zu spüren ist. Am idealsten wäre es, wenn ein Netz von Grüninseln die Stadt durchziehen würde − dann würden noch mehr Menschen vom kühlenden Grün profitieren als bei einem großen Stadtpark.

Deutlich unterstützt wird der Effekt von Parks und Grünanlagen durch Flüsse, Bäche, Teich, Seen oder Wasserspiele. Wasserflächen bleiben auch im Sommer kühl und tragen durch ihre Verdunstung ebenfalls spürbar zum Kühlen der Umgebungsluft bei.

Der Central Park ist die grüne Lunge New Yorks. Er ist rund 350 Hektar groß und zählt zu den größten Parkanlagen weltweit. Jedes Jahr besuchen rund 25 Millionen Menschen die beliebte Parkanlage.
Foto: Unsplash/Harry Gillen

Öffentliche Parks: Die grünen Lungen unserer Städte

Grüne Oasen in den Städten schützen vor Hochwasser, verbessern die Luft, bieten Lebensräume für Pflanzen und Tiere. Ein Forschungsprojekt zeigt den den ökologischen und gesellschaftlichen Wert des Grüns in der Stadt auf »

Dachbegrünungen: Hitze-, Kälte- und Wasserpuffer zugleich

intensive dachbegrünung als dachgarten
Intensive Dachbegrünung macht's möglich: Dachgarten mit Sträuchern und kleinen Bäumen.
Foto: ZinCo GmbH

Besonders effektiv sind auch Dachbegrünungen. Die Vegetationsschicht auf dem Dach senkt die Temperatur der Dachfläche und der Umgebungsluft spürbar. Außerdem wirken sie als Dämmschicht fürs Haus, was die Energiekosten senkt.

Auch bei Starkregen wirken sie sich sehr positiv aus: 70 bis 100 Prozent der Niederschläge werden von der Vegetationsschicht abgepuffert − was gerade in Städten mithelfen kann, Hochwasserereignisse zu verhindern. Anschließend wird das aufgefangene Regenwasser durch Verdunstung wieder an die Umgebungsluft abgegeben, was zur Abkühlung beiträgt.

Einziger Nachteil an Dachbegrünungen: Sie können manchmal teuer werden und sie eignen sich nicht für jedes Dach.

So wird eine extensive Dachbegrünung angelegt

Konventionelle Dächer sind für die Pflanzen- und Tierwelt praktisch wertlos. Mit extensiven Dachbegrünungen lassen sich Garagen, Carports oder Flachdächer in artenreiche Lebensräume verwandeln. Auch die Bewohner profitieren: Die Pflanzen binden Feinstaub aus der Luft und wirken angenehm klimatisierend auf die darunterliegende Wohnung.

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Grüne Himmelsstürmer: Kletterpflanzen

Kletterpflanzen in der Stadt Treppenhaus
Kletterpflanzen haben nicht nur klimatische Vorteile, sondern tragen positiv zur Biodiversität bei, da die Nektarpflanzen eine beliebte Nahrungsquelle für Insekten sind.
Foto: Pexels/Feyza Daştan

Ein wichtiger Stellhebel gegen die Hitze der Stadt sind außerdem Fassadenbegrünungen mit Kletterpflanzen. Sie bringen mehrere Vorteile mit sich, die sich besonders in Städten auszahlen:

  • Es wird wenig Fläche benötigt.
  • Aufwand und Kosten sind gering.
  • Es können sehr große Flächen begrünt werden.

Fassadengrün wirkt wie eine natürliche Klimaanlage − nicht nur fürs Haus, sondern auch für die Umgebung. Kletterpflanzen sorgen stets für angenehm befeuchtete Luft, senken den Schadstoffgehalt und fungieren als Staubfilter.

Die Oberfläche einer bepflanzten Wand ist etwa 6-mal größer als die einer kahlen Wand, kann damit auch 6-mal soviel Staubpartikel aufnehmen und Verdunstungskühle abgeben.

Viele Hausbesitzer sträuben sich allerdings aus (häufig unbegründeter) Sorge vor Schäden an der Fassade gegen Kletterpflanzen. Häufig ist der städtische Boden auch bereits so zubetoniert und zugepflastert, dass es gar keine Möglichkeit mehr gibt, hier Pflanzen anzusiedeln. Eine praktikable Lösung gegen dieses typisch städtische Problem sind beispielsweise Pflanzensegel.

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Die Macht der Ranken: Pflanzensegel gegen überhitzte Städte

Pflanzensegel mit Kletterpflanzen
Diese innovativen Pflanzensegel sollen als Bollwerk gegen überhitzte Städte dienen. Bislang sind sie noch neu in ihrer Art,
Foto: OMC°C/Ingmar_Kurth

Maximale Blattmasse auf wenig Raum − das schaffen nur Kletterpflanzen. Sie sind die ultimative Lösung gegen städtische Wärmeinseln. Ihre Spezialität, große Höhen zu erklimmen, machte sich das Frankfurter Office for Micro Climate Cultivation (OMC°C) zunutze. Sie entwickelten speziell für eng bebaute Städte ein vertikales Begrünungssystem mit Kletterpflanzen.

„Uns war klar: Irgendwie müssen die Plätze schattiger und kühler werden. Dann gingen Recherche und Analyse los. Nach und nach fügte sich alles und wir hatten eine konsequente und ziemlich radikale Lösung auf dem Tisch“, erinnert sich Carlotta Ludig, eine der beiden Gründerinnen.

Die großflächige Pflanzensegel, VERD° genannt, können mobil in Innenstädten aufgestellt werden. Sie spenden Schatten und sorgen für die Abkühlung von Plätzen, Straßen und Innenhöfen oder dienen der Begrünung von Fassaden. Die Kletterpflanzen verbessern außerdem das Mikroklima und binden CO₂.

„Der überwältigende Zuspruch, den wir seit dem Teilen der ersten Idee von allen Seiten erfahren haben, hat uns gezeigt, dass es richtig ist, mutig zu sein. Die Entwicklung war dann aber doch etwas komplexer als die Einführung eines neuen Stuhls“, erzählt Mitgründerin Nicola Stattmann.

So funktioniert das System

Schnellwachsende Kletterpflanzen ranken im Frühjahr an textilen Netzen in die Höhe, um im Sommer ihren Dienst zu tun. Den nötigen Halt bietet eine sturmsichere Leichtbaukonstruktion aus Stahl und Holz. Im Herbst werden die Netze wieder abgebaut, die Pflanzen gelangen als Biomasse in den Kreislauf zurück.

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Die Konstruktion

Konstruktion Gerüst Kletterpflanzen
Bis zu zehn Meter hoch sind die Tragwerke aus Holz und Stahl.
Foto: OMC°C/Ingmar_Kurth

Die stabilen und zugleich leichten Tragwerke aus Holz und Stahl sind mit biologisch abbaubauren Ranknetzen aus Flachsgarn bespannt. Die Pflanzensegel können direkt am Gebäude montiert werden oder freistehend auf einem Betonsockel. Der kann dann anschließend als schattige Sitzfläche genutzt werden.

Das System ist so konzipiert, dass es zerlegt und an anderen Orten wieder aufgebaut werden kann: überall dort, wo versiegelte Flächen, dichte Bebauung, begrenzter Wurzelraum und hohe Bodenverdichtung die Anpflanzung von Bäumen, Sträuchern und Stauden verhindern. Und in Städten ist genau das leider oft das Fall.

Das Begrünungssystem ist eine praktikable Lösung für Architekten, Landschaftsgärtner, Städteplaner und Kommunen. Auf öffentlichen Plätzen oder Verkehrswegen könnten so neue Räume geschaffen werden, die zum Verweilen und Erholen einladen.

Kletterpflanzen in Pflanzkübeln mit Bewässerungssystem
Foto: OMC°C/Ingmar_Kurth

Die großen Pflanzensegel müssen starkem Wind standhalten können. Die nötige Bodenhaftung bieten deshalb schwere Betonsockel, die mit dem Kran flexibel platziert werden können.

Das einzige, was vor Ort bereitgestellt werden muss, ist ein Wasseranschluss. Die Versorgung der Pflanzen mit Wasser erfolgt über ein automatisiertes Bewässerungssystem, das z.B. an die öffentliche Wasserversorgung angeschlossen werden kann.

Bepflanzung: Die Mischung macht's

Im Frühjahr werden die Pflanzgefäße mit torffreiem Substrat gefüllt und mit Samen und Setzlingen verschiedener schnellwachsender Kletterpflanzen bepflanzt. Manche Pflanzen wachsen schnell in die Höhe, andere bilden buschiges Grün aus. Einige blühen in besonders schönen Farben, andere wirken durch ihren Duft oder die Grüntöne der Blätter. Geschickt kombiniert, lassen sich über die Verschattung hinaus auch ästhetische Effekte erzielen. Die Kombination verschiedener Arten reduziert zudem die Anfälligkeit für Krankheiten und verbessert die Biodiversität.

Gemeinsam haben sie die Eigenschaft, sehr schnell zu wachsen und so die bis zu sieben Meter hohen Netze über den Sommer flächig zu begrünen.

Die Bespannung aus Flachsgarn wurde eigens für die Pflanzensegel entwickelt. Sie bietet ideale Haftbedingungen für die fleißigen Ranker und ist biologisch abbaubar.

Die Pflanzensegel als Forschungsobjekt

An der hinter dem Naturmuseum Frankfurt stehenden Anlage erfasst die Sektion Entomologie III der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN) die sie besuchenden Insekten, um den Einfluss des Begrünungssystems auf die Biodiversität in Städten zu erforschen.

Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hat Messstationen an den Anlagen installiert, um Temperatur, Feuchtigkeit und Windstärke in unterschiedlichen Höhen zu messen und so das Mikroklima um die Anlagen herum zu untersuchen.

Pflanzkästen aus dem 3-Drucker

Ein wichtiger Bestandteil des Systems − und Designelement zugleich − sind die von Produktdesigner Stefan Diez entwickelten Pflanzgefäße. Die länglichen, wellenartig geformten Schalen bestehen aus recyceltem Kunststoff und werden mit einem 3D-Drucker produziert. Sie befinden sich in der Regel auf drei Meter Höhe, bieten Vandalismus somit keine Chance. Sie können aber auch tiefer oder höher gehängt werden.

Produktdesigner Stefan Diez mit Pflanzkübeln aus dem 3D-Drucker
Foto: OMC°C/Ingmar_Kurth

Warum nicht Efeu oder Wilder Wein?

Blühende Kapuzinerkresse
Blühende Kapuzinerkresse: Klimaverbesserer und Blickfang zugleich.
Foto: OMC°C/Ingmar_Kurth

Wäre es nicht einfacher, auf Kletterpflanzen wie Efeu oder Wilden Wein zu setzen, die nicht jedes Jahr neu gepflanzt werden müssen? Einmal einsetzen und fertig.

Ganz so einfach ist es nicht. Denn tatsächlich bieten die einjährigen Ranker einen wichtigen Vorteil: Sie benötigen wenig Wurzelraum (wichtig angesichts begrenztem Platz in den Pflanzkästen!) und es kommt nicht zur Verholzung wie bei mehrjährigen Pflanzen. Aufgrund der „Ernte“ im Herbst entfallen außerdem die Aufwände für Rückschnitt und Laubbeseitigung.

Kletterpflanzen wie Wilder Wein, Clematis oder Kletterrosen eignen sich stattdessen hervorragend für die Fassadenbegrünung in Innenstädten. Gerade Rankpflanzen verursachen keine Schäden, da sie sich nicht an der Fassade festkrallen. Einzig ein Befestigungssystem an der Hauswand wird benötigt.

Eckdaten zum Projekt

Produkt: VERD°
Hersteller: Office for Micro Climate Cultivation, OMC°C
Produktdesignerinnen und Gründer: Nicola Stattmann und Carlotta Ludig

Partner:

  • Malte Just, Just Architekten
  • Ingenieurbüro Bollinger+Grohmann, Frankfurt
  • Wurst Stahlbau GmbH
  • Dieter Gaißmayer, Gründer der gleichnamigen Bioland-Gärtnerei
  • Stiftung Gartenkultur, Illertissen
  • Stefan Diez, Designer

Forschung:

  • Sektion Entomologie III der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN)
  • Deutscher Wetterdienst

Fazit: Lösungen gegen heiße Städte

  1. Bäume und Sträucher, Parks und Grünanlagen verbessern die Lebensqualität aller Stadtbewohner deutlich und sorgen zudem für spürbar kühlere Temperaturen im Sommer.
  2. Dachbegrünungen wirken als Hitze- und Kältepuffer fürs Haus und sind zudem wirksamer Schutz bei Starkregenereignissen.
  3. Fassadenbegrünungen wirken als natürliche Klimaanlage fürs Haus und die Umgebung. Zugleich bieten sie wertvolle Lebensräume für Insekten und Vögel.
  4. Kletterpflanzen lassen sich in Form von Pflanzensegeln auch mobil in der Stadt aufstellen.

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