Schilf: Dämmstoff mit Tradition und Zukunft
Schilf ist einer der ältesten Baustoffe der Menschheit, der bereits seit Jahrtausenden vielseitig eingesetzt wird, ob zur Dachdeckung, als Zuschlagstoff, Putzträger oder zur Wärmedämmung. Heute, da der Bedarf an CO₂-armen, biobasierten Baustoffen stetig wächst, erfährt Schilf ein Comeback. Der natürliche Dämmstoff vereint traditionelles Bauwissen mit den Anforderungen an modernes, nachhaltiges Bauen – und ist eine attraktive Alternative zu konventionellen Dämmmaterialien. Hier erfahren Sie mehr über die Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten des Dämmstoff.
Die besonderen Eigenschaften von Schilf
Schilfrohr punktet ökologisch, technisch und baubiologisch mit einer Reihe von Vorzügen. Die Herstellung benötigt nur sehr wenig Energie. Es wird sortenrein und ohne jegliche chemische Zusätze verarbeitet und lässt sich somit vollständig recyceln. Sondermüll entsteht dabei nicht. Da die Halme hohl sind, bindet Schilf Luft in seinem Inneren, was die gute Dämmwirkung ausmacht. Zugleich reguliert der hohe Luftgehalt in den Schilfrohren das Wohnklima.
Des Weiteren ist Schilf von Natur aus resistent gegen Feuchtigkeit, Schimmel und Fäulnis. Dies macht es zu einem ausgezeichneten, langlebigen Baumaterial für feuchtebelastete Bereiche, wie zum Beispiel in Küstenregionen und in der Altbausanierung. Nicht umsonst prägen Reetdächer seit Jahrhunderten das Bild vieler Küstendörfer an Nord- und Ostsee, denn ein Reetdach hält 30 bis 50 Jahre, bei guter Pflege sogar über 100 Jahre.
Aber auch beim Schallschutz spielt der Naturbaustoff seine Stärken aus: Die dichte Halmstruktur absorbiert den Luftschall und trägt so zu einem ruhigen Wohnumfeld bei. Schilf ist bruchsicher und formbeständig, das heißt es verrutscht nicht oder bildet Hohlräume beim Anbringen. Darüber hinaus enthält es natürlicherweise Kieselsäure und ist brandhemmend. Üblicherweise wird Schilf in die Brandschutzklasse B2 eingeordnet und gilt damit als normal entflammbar.
Nachhaltige Wärmedämmung mit Naturdämmstoffen
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Vom Halm zum vielfältigen Dämmstoff

Auch während seines Wachstums bindet das Süßgras CO₂, das bevorzugt an den Ufern von Seen, Teichen und Feuchtgebieten wächst. Schilf kommt auf allen Kontinenten vor. Da heimische Schilfbestände in Deutschland etwa nur 10−20 Prozent des Bedarfs decken, wird das Rohmaterial aus Regionen wie Ungarn oder der Türkei importiert. Die Ernte erfolgt in den Wintermonaten, meist mit Motorbalkenmähern oder traditionell in Handarbeit. Nachdem die Halme sortiert und getrocknet wurden, werden sie mechanisch gepresst. Als Dämmstoff ist Schilf in unterschiedlichen Formen erhältlich:
- Für die Herstellung von formstabilen Dämmplatten werden die gepressten Halme mit verzinktem oder Edelstahl-Draht beidseitig befestigt. Sie sind in Stärken von 20 bis 150 Millimeter erhältlich und wiegen zwischen 2 und 4,5 Kilogramm pro Quadratmeter.
- Schilfmatten sind etwas dünner und flexibler als Platten. Sie eignen sich hervorragend als Putzträger für Lehmputz und können auch an gewölbten Bauteilen eingesetzt werden.
- Sogenannter Schilflehm ist eine Mischung aus gehäckseltem Schilfrohr und Lehm. Die unterschiedlichen Faser- und Stückgrößen des Schilfs stützen den Lehmputz.

Beim Trockenbau mit Lehmbauplatten kann man meist auf lange Trocknungszeiten verzichten. Welche Vor- und Nachteile das hat und wie die Lehmbauplatten verarbeitet werden, lesen Sie in unserem Beitrag über Lehmbauplatten »
Dach, Wand und Boden: Anwendungsbereiche von Schilf
Schilf lässt sich flexibel in verschiedenen Bauteilen einsetzen. Besonders beliebt ist die Verwendung im Dachbereich. Dort eignen sich Schilfrohrplatten und -matten ebenso für die Unter-, Zwischen- und Aufsparrendämmung wie für die klassische Reetdeckung. Im Wandbereich kommt Schilf überwiegend bei der Innendämmung zum Einsatz, etwa hinter Lehmputz oder als Ausfachung im Fachwerk. Dank seiner natürlichen Feuchtigkeitsresistenz ist es die perfekte Wahl für Räume mit erhöhter Luftfeuchtigkeit, wie Bäder oder historische Gebäude mit einem unregelmäßigen Feuchteverhalten.
In Decken- oder Bodenkonstruktionen können Schilfmatten die Trittschalldämmung und den Hitzeschutz verbessern, sei es in Holzbalkendecken oder unter Estrichen. In Wärmedämmverbundsystemen werden Schilfplatten direkt auf die Fassade gedübelt und anschließend verputzt. Weniger geeignet ist Schilfrohr für den Einsatz als Perimeterdämmung oder in der Kerndämmung von zweischaligem Mauerwerk.
Sicher planen und umsetzen: Wichtige Hinweise zum Dämmstoff Schilf
Wer sich für den natürlichen Dämmstoff entscheidet, sollte bei der Planung und dem Einsatz ein paar wichtige Punkte berücksichtigen. Mit einer durchschnittlichen Wärmeleitfähigkeit von 0,065 W/(m²K) hat Schilf eine solide Dämmleistung im mittleren Bereich. Das erfordert im Vergleich zu anderen Naturdämmstoffen dickere Schichten, um denselben U-Wert zu erreichen. Liegt dieser beispielsweise bei 0,24 W/(m²K) ist eine Dämmschicht von 18 Zentimeter erforderlich. Abhängig von der Dicke belaufen sich die Materialkosten auf 27 bis 55 Euro pro Quadratmeter. Hinzu kommen die Kosten für den Einbau und die Genehmigung.
Denn Schilf besitzt in Deutschland bisher keine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung, sodass für den Einbau eine Einzelgenehmigung erforderlich ist. Informationen hierzu erhalten Bauherren bei der regional zuständigen Bauaufsichtsbehörde. Ohnehin empfiehlt sich beim Bauen mit Schilfrohr die Umsetzung durch einen qualifizierten Fachbetrieb.
Und dennoch ist Schilf eine wertvolle und nachhaltige Alternative zu herkömmlichen Dämmstoffen. Als nachwachsender Rohstoff mit jahrtausendealter Geschichte ist es eine bewusste Entscheidung für Bauherren und Fachbetriebe, die zugunsten von Umwelt und Wohngesundheit auf natürliche, langlebige Baustoffe setzen.
Autor Christian Schaar ist Geschäftsführer der S2 GmbH. Als Geschäftsführer eines Planungsbüros mit Schwerpunkt auf ökologischen Holzbau wird er bei Neubauprojekten und Sanierungen regelmäßig mit baubiologischen Fragestellungen konfrontiert und als Experte konsultiert.
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