Was ist Biophilic Design?
Den meisten Menschen tut es gut, sich in der Natur aufzuhalten. Unsere heutige Lebensweise, insbesondere in den Städten, hat uns jedoch von der natürlichen Umwelt entfremdet. Die Idee des Biophilic Design ist, unser Zuhause oder unseren Arbeitsplatz nach dem Vorbild der Natur zu gestalten, um mehr Wohlbefinden, Gesundheit und Produktivität zu erreichen.
In diesem Artikel:
Biophilic Design – was ist das?
Biophilic Design zielt darauf ab, die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Produktivität des Menschen durch eine naturnahe Gestaltung von Innenräumen zu verbessern. Dahinter steht die Theorie, dass sich Menschen „von Natur aus“ zur Natur hingezogen fühlen.
Das Konzept umfasst eine Vielzahl von Elementen, wie die Integration von Pflanzen, Tieren, natürlichen Materialien oder naturähnlichem Design in die Gestaltung von Gebäuden. Licht, insbesondere Tageslicht, spielt eine wichtige Rolle. Vor allem sollen alle Sinne − Sehen, Fühlen, Riechen, Hören − angesprochen werden.
Wer hat Biophilic Design erfunden?
Der Begriff Biophilie stammt aus dem Griechischen und kann mit „Liebe zum Lebendigen“ übersetzt werden. Er tauchte in den 1960er-Jahren erstmals im Werk des Psychoanalytikers und Philosophen Erich Fromm auf. Vermutlich unabhängig davon hat ihn der amerikanische Biologe E.O. Wilson in den 1980er-Jahren populär gemacht. In seinen Veröffentlichungen, insbesondere in dem Buch „Biophilia“, wies Wilson auf die wesentliche Bedeutung der Natur für das Wohlbefinden des Menschen hin. Architekten und Designer, die sich der Schaffung gesunder Lebens- und Arbeitsräume widmeten, griffen diesen Gedanken auf und entwickelten die Idee des Biophilic Design.
Beispiel: Bosco verticale
Der Bosco verticale in Mailand ist ein bekanntes Beispiel für Biophilic Design und zugleich eines der beeindruckendsten Hochhäuser der Welt. Wie es dem Architekten Stefano Boeri mit seinem Team gelang, über 800 Bäume und Tausende weitere Pflanzen an seiner Fassade wachsen zu lassen, erfahren Sie hier.
Das Konzept des Biophilic Design
Auch wenn das Grundprinzip erst einmal recht simpel erscheinen mag, ist Biophilic Design ein komplexes Konzept. Die Beratungsfirma Terrapin Bright Green hat „14 Patterns of Biophilic Design“ formuliert, die den Ansatz genauer beschreiben. Die 14 Muster gliedern sich in drei Bereiche:
1. Die Natur im Raum
Hier geht es darum, die Natur ins Gebäude zu holen. Zum Beispiel in Form von Pflanzen oder Wasserfällen im Innenraum, oder auch den Blick hinaus in die umgebende Natur. Belichtung mit Tageslicht und das Spürbarmachen von Tages- und Jahreszeiten, zum Beispiel durch Licht- und Temperaturverläufe gehören ebenso dazu.
2. Analogien zur Natur
Durch Baumaterialien aus der umgebenden belebten oder unbelebten Natur (z.B. bestimmte Holzarten oder Gesteine) kann ein Bezug zum Ort hergestellt werden. Nach der Theorie, die dem Biophilic Design zugrunde liegt, haben wir Menschen auch eine angeborene Affinität zu Formen, Mustern und Ordnungsprinzipien aus der Natur, z.B. Bienenwaben, und sollten diese in die Architektur und Ausstattung unserer Gebäude integrieren.
3. Die Beschaffenheit des Raumes
Räume sollten so gestaltet sein, dass wir uns in ihnen sicher fühlen. Dazu gehört das richtige Maß an Offenheit und freier Sicht, aber auch Rückzugsmöglichkeiten, die Schutz und Geborgenheit bieten. Darüber hinaus brauchen unsere Sinne Anregung. Dazu gehören zum Beispiel Entdeckungsmöglichkeiten − nicht alles muss auf den ersten Blick sichtbar sein. Und auch ein bisschen Nervenkitzel gehört dazu, zum Beispiel der Blick von oben in die Tiefe.
Die 14 Muster des Biophilic Design nach Terrapin Bright Green
Die Natur im Raum
- Visuelle Verbindung zur Natur, z.B. Blick ins Grüne, Blumenkästen oder begrünte Wände
- Nicht-visuelle Verbindung zur Natur, z.B. Tiergeräusche, duftende Pflanzen, Handläufe aus Naturmaterialien
- Unregelmäßige Sinnesreize, z.B. Lichtspiele, bewegliche Elemente im Raum, fliegende Insekten vorm Fenster
- Temperatur- und Luftveränderungen, z.B. manuell zu öffnende Fenster, Balkone am Arbeitsplatz
- Nähe zu Wasser, z.B. Aquarien, Zimmerbrunnen, Wasserwände
- Dynamisches und diffuses Licht, z.B. Tageslicht aus verschiedenen Winkeln, indirekte Beleuchtung, Feuerschein
- Verbindung zu natürlichen Systemen, z.B. Innenhöfe oder Dachterrassen mit jahreszeitlicher Begrünung
Analogien zur Natur
- Biomorphe Formen und Muster, z.B. Elemente in organischen Formen wie Kurven, Spiralen oder Waben
- Material mit Bezug zum Ort, z.B. bestimmte Arten von Holz, Leder, Ton oder Steinen
- Ordnung und Komplexität, z.B. Orientierung an Ordnungsprinzipien aus der Natur (Schneeflocke, Kristall) in Teppich- oder Tapetenmustern
Die Natur des Raumes
- Aussicht über größere Flächen und Entfernungen, z.B. offene Grundrisse, Blick vom Balkon über die Stadt, erhöhte Ebenen
- Rückzugsorte für Geborgenheit, z.B. Sitz- und Lesenischen, Pavillons, Arkaden
- Geheimnis, z.B. Labyrinthe, Fenster mit Sichtschutz, versteckte Wegführung
- Risiko, z.B. transparente Geländer oder Glasböden, schmale Stege
Was mit Biophilic Design NICHT gemeint ist
Eine einzelne Zimmerpflanze in der Wohnung macht noch kein Biophilic Design aus. Auch geht es nicht primär um Dekoration, sondern um eine tiefergehende Beziehung zur Natur.
Biophilic Design in der Praxis
Bislang wird Biophilic Design vor allem in gewerblichen und öffentlichen Gebäuden eingesetzt − was den Einsatz in privaten Räumen natürlich nicht ausschließt. Um ihren Mitarbeitern eine Arbeitsumgebung zum Wohlfühlen zu bieten, lassen Unternehmen ihre Büroräume begrünen oder Indoor-Wasserfälle installieren. Sogenannte Klimawände mit Pflanzen sollen für Luftbefeuchtung und ein gesundes Raumklima sorgen sowie Pollen und Schadstoffe absorbieren. Letzteres kommt vor allem Allergikern zugute.
Hinzu kommen die Ausstattung mit Naturmaterialien, natürliches Licht und möglichst ein Blick ins Grüne vom Schreibtisch aus. Arbeitgeber versprechen sich von Biophilic Design auch eine höhere Produktivität ihrer Mitarbeiter.
Was ist Green Living?
Nicht nur Biophilic Design, sondern auch der Trend zu Green Living findet immer mehr Anhänger. Immer mehr Menschen bemühen sich um einen umweltfreundlichen Lebensstil und möchten ihre Wohnräume mit nachhaltigen Materialien und ökologischen Möbeln gestalten. Hier erklären wir, was alles zu Green Living gehört »
Kritik am Konzept des Biophilic Design
Neben viel positiver Resonanz gibt es auch Kritik am Konzept des Biophilic Design: Nicht alle Fachleute teilen die Grundannahme, dass die menschliche Präferenz des Lebendigen angeboren ist. Einige Theorien gehen davon aus, dass der Erholungseffekt von Natur eher durch positive Erfahrung erlernt ist.
Zwar gibt es Studien mit Hinweisen auf die positive Wirkung von Natur, etwa der Anwesenheit von Pflanzen, tageslichtabhängiger Beleuchtung oder sensorischen Reizen auf Wohlbefinden, Herzkreislaufsystem oder Konzentration. Ob Biophilic Design insgesamt die Produktivität steigert oder Menschen glücklicher macht, ist aber wissenschaftlich nicht bewiesen.
Und: Die Anlage und Pflege von Indoor-Begrünungen größeren Maßstabs ist teuer und erfordert unter Umständen einen hohen Energie- und Wasseraufwand.
Cradle gibt 7 Tipps für Biophilic Design zu Hause
- Pflanzen: Mit Zimmerpflanzen und einzelnen begrünten Wände lässt sich schon viel erreichen. Bedenken Sie bei der Anschaffung aber auch die Pflege. Siechendes Grün wirkt negativ auf die Stimmung, eine Staubschicht auf den Blättern blockiert die Photosynthese.
- Lichtreize: Verstellbare Jalousien statt geschlossener Rollläden erzeugen Licht- und Schattenspiele.
- Bewegung: Mobiles oder bewegliche Kunstobjekte können als visueller Reiz dienen.
- Fundstücke: Auf Spaziergängen kann man Äste, Zapfen, Steine oder Muscheln sammeln und damit das Zuhause dekorieren.
- Geheimnis: Mit Spiegeln lassen sich ungewohnte Perspektiven schaffen oder Bilder aufhängen, die sich nur nach und nach erschließen.
- Risiko: Hängematte oder -sessel sorgen für eine kleine Prise Nervenkitzel im Alltag.
- Jahreszeitenwechsel: Im Winter die Temperatur senken, Decken und Wärmeflasche bereithalten.
Wie gefällt Ihnen dieser Beitrag?
Jetzt unseren Newsletter abonnieren – und eine Gratisausgabe des CRADLE-Magazins erhalten!
Newsletter abonnieren