Nachhaltige Bauwirtschaft: "Wir brauchen ganz neue Geschäftsmodelle"

Michael Braungart
Foto: Anna Bauer
Portrait Michael Braungart, Entwickler des Cradle-to-Cradle-Konzepts.

Wir haben mit dem Erfinder des Cradle-to-Cradle-Prinzips, Prof. Dr. Michael Braungart, über aktuelle Herausforderungen der Kreislaufwirtschaft gesprochen. Darin erklärt er, wie wir es mit neuen, nachhaltigen Geschäftsmodellen schaffen, die Billigkonkurrenz aus Fernost zu überholen und wie wir so bauen können, dass wir der Umwelt nicht schaden, sondern sogar nutzen.

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe No. 4 von CRADLE.

Neben dem Interview mit Prof. Dr. Michael Braungart finden Sie in unserer Print-Ausgabe über 100 Seiten zu innovativen Vorreiterprojekten zukunftsfähiger Architektur.

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CRADLE: In Deutschland wurde viel über ein Heizungs- oder Wärmepumpengesetz debattiert: Hängt daran die Zukunft des Themas Bauen und Wohnen – oder setzen Sie andere Prioritäten für die Bauwende?

Dr. Michael Braungart: Die Heizungsdebatte war eine Randdebatte. Denn die Energiefrage wird lösbar sein – wir haben auf dem Planeten ja einen Überschuss davon. Wir müssen uns jedoch um die Baumaterialien kümmern. Die sind viel kritischer. Wir haben zu wenig Kupfer und brauchen die Vorräte für die E-Mobilität oder die Energiewende. Für den Baubereich heißt das: Wir müssen das Metall möglichst komplett ersetzen. Es ist viel zu wertvoll, um daraus Dachrinnen oder Heizungsrohre zu fertigen.

Wir brauchen vor allem eine Positivliste – zum Beispiel, welche Materialien wir in Beton mischen. Wir haben dafür bisher Stoffe verwendet, die hoch belastet sein können. Manchmal hat das Auslaugwasser daher eine Qualität wie das einer Sondermülldeponie. Erst mit der Positivliste wissen wir, was im Material stecken kann, wenn ich den Baustoff am Ende seiner Nutzungszeit erneut verwenden will. Das heißt: Die Beton-Additive muss ich positiv definieren. Wenn ich jemanden zum Essen einlade, sage ich dem Gast ja auch nicht, „das ist frei von Hähnchen“. Ich muss ihm sagen, was ich ihm oder ihr an guten Zutaten kredenze. Damit könnte der Gebäudesektor eine wesentliche Rolle für eine gesündere Welt spielen.

» Wir brauchen eine Positivliste – zum Beispiel, welche Materialien wir in Beton mischen. Wir haben dafür bisher Stoffe verwendet, die hoch belastet sein können. Manchmal hat das Auslaugwasser daher eine Qualität wie das einer Sondermülldeponie. «

Prof. Dr. Michael Braungart
Foto: Unsplash/Note Thanun

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Dr. Michael Braungart: Wir müssen unsere Geschäftsmodelle generell umdenken! Es ist doch unmöglich, dass wir jemandem, der saubere Luft will, eine Klimaanalge verkaufen, in der Problemstoffe verbaut sein können. Wäre es da nicht besser, wir "verkaufen" dem Kunden einfach saubere und gesunde Luft? Wir könnten dann alle Umweltinnovationen kontinuierlich in die Produkte einbauen und gingen im Wettbewerb mit ausländischen Herstellern nicht das Risiko ein, mit Kopien überholt zu werden. Diesen Kostenwettbewerb verlieren wir sowieso. Wir wiederholen all unsere Fehler. Der letzte Solarmodulproduzent geht jetzt in die USA, weil er dort angeblich günstiger produzieren könne. Ihm fehlt aber nur das richtige Geschäftsmodell. Würde er mit den hier gefertigten Anlagen einfach die Nutzung anbieten, wäre er den Konkurrenten aus Übersee weit überlegen. Chinesische Module büßen ihren Wirkungsgrad rasch ein. Auch wenn die Anlagen aus Deutschland beim Kauf teurer sind, rechnen sie sich über 20 Jahre, weil die Qualität stimmt und etwa der Wirkungsgrad nicht so weit absinkt.

Wir sehen: Geschäftsmodelle entscheiden über den Erfolg. Das gilt für den ganzen Maschinenbau. Würden Unternehmen die Nutzung verkaufen anstatt der Maschinen, könnten sie zudem das Kopieren ihrer Geräte − das durch Digitalisierung und 3-D-Druck immens erleichtert wird − verhindern. Es geht dabei also nicht um Ökologie first − es geht darum, wie wir unsere Wirtschaft schützen!

» Den Solarmodulproduzenten fehlt nur das richtige Geschäftsmodell. Würde er mit den hier gefertigten Anlagen einfach die Nutzung anbieten, wäre er den Konkurrenten aus Übersee weit überlegen. «

Prof. Dr. Michael Braungart

CRADLE: Bauen und Naturschutz stehen oft im Zielkonflikt: 400.000 neue Wohnungen in Deutschland benötigen Platz, der konsequentem Natur- und Artenschutz im Weg steht. Wie lösen wir das?

Dr. Michael Braungart: In einer Stadt wie Berlin ist die Artenvielfalt etwa dreimal höher als in der Grassteppe der Umgebung. Wir müssen einfach anders denken und Gebäude wie Bäume konstruieren. Dann würden Häuser Luft und Wasser reinigen, und sie würden Platz schaffen für andere Lebewesen. Mauersegler gibt es nur mit Mauern, Turmfalken nur mit Türmen. Es wird Zeit, anders zu denken. Wir sollten so bauen, dass wir damit anderen Lebewesen dienen: Wir könnten etwa auf einem Hektar Fassade mit Algen so viel Eiweiß produzieren wie auf 60 Hektar Ackerfläche einer Maisplantage. Mit solchen Bauten könnten wir der Natur dann auch viel zurückgeben. Dann könnten andere Lebewesen sich daran freuen, dass wir bauen. Derzeit bauen wir viel zu primitiv. Es ist doch erstaunlich, wie viel mehr die Natur kann als wir Menschen.

» Wir sollten so bauen, dass wir damit anderen Lebewesen dienen. «

Prof. Dr. Michael Braungart

CRADLE: Müssen wir die Materialwahl verändern oder neue Baukonzepte entwickeln? Welche zukunftsweisenden Städtebaukonzepte gibt es?

Dr. Michael Braungart: Wir sollten nur noch Gebäude zulassen, die einen Ewigkeitskern haben. Das würde heißen, in diesen Gebäuden stecken keine seltenen Materialien und auch kein Gift. Alles, was selten oder giftig ist, müssten Dienstleistungen sein. Alle seltenen oder giftigen Materialien, die wir verbauen, dürften nur eine begrenzte Nutzungsdauer haben. Wir müssen alle Materialien als Nährstoffe betrachten: Wenn Dinge verschleißen, müssen sie biologisch nutzbar sein. Dann ermöglichen wir perfekte Materialkreisläufe. Und ein Kunde muss dann keine Kompromisse zwischen Qualität und Kosten mehr eingehen, wenn wir in Dienstleistungen denken würden. Wenn zum Beispiel statt eines Teppichbodens eine Zehnjahres- Bodenverpackungs-Versicherung gekauft werden könnte. Der Kunde weiß dann, mein Boden bleibt zehn Jahre schön und der Kunde erhält am Ende der Vertragslaufzeit sein Material wieder zurück. So kann er es auf- oder umarbeiten und neu anbieten.

» C2C-Produkte sind im Schnitt 15 bis 20 Prozent günstiger zu produzieren, denn ich kann mir Materialkosten sparen, da ich nur die Dienstleistung anbiete und mein Kunde dann zur Materialbank wird. «

Das ist mit Cradle-to-Cradle-Produkten machbar. Ärgerlich allerdings ist, wenn Hersteller dann einen Ökozuschlag auf ihre Preise erheben. Dies führt dazu, dass die Menschen denken, Öko sei ein Luxusgut und sie könnten es sich nur in gute Zeiten erlauben. Stimmt nicht. C2C-Produkte sind im Schnitt 15 bis 20 Prozent günstiger zu produzieren, denn ich kann mir Materialkosten sparen, da ich nur die Dienstleistung anbiete und mein Kunde dann zur Materialbank wird. Leider haben das viele so noch nicht verstanden und denken noch rückständig. Das Material – etwa Aluminium für Fensterrahmen – würde zum technischen Nährstoff im Wirtschaftskreislauf. Das Zugriffsrecht auf das jeweilige Material wird entscheidend. Die Verfügbarkeit des Rohstoffs muss so garantiert sein. In einer digitalen Welt kann ich den Abfallbegriff abschaffen, denn ich weiß – immer –, was wo wann und wie verwendet wird. Mit der Digitalisierung fängt Kreislaufwirtschaft erst richtig an.

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe No. 4 von CRADLE.

Neben dem Interview von Prof. Dr. Braungart finden Sie in unserer Print-Ausgabe über 100 Seiten zu innovativen Vorreiterprojekten zukunftsfähiger Architektur. Folgen Sie uns auf dem faszinierenden Weg in eine nachhaltigere Welt!

Top Themen dieser Ausgabe

  • Innovative Kreislaufwirtschaft
  • Lehm, Baustoff der Zukunft
  • Urbaner Holzhybridbau
  • Biologisch abbaubare Architektur

 

  • Modernes Recycling
  • Bauen mit Mondholz
  • Stadtbegrünung
  • Schwammstadt

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Über Prof. Dr. Michael Braungart

Michael Braungart
Portrait Michael Braungart, Entwickler des Cradle-to-Cradle-Konzepts.
Foto: Anna Bauer

Pionier des Cradle to Cradle, *1958
Nach dem Studium der Chemie und Verfahrenstechnik promovierte Braungart 1985 am Fachbereich Chemie der Universität Hannover. Parallel wirkte er seit 1982 beim Aufbau des Bereichs Chemie von Greenpeace Deutschland mit, den er von 1985 bis 1987 leitete. Ende der 1990er-Jahre hat Michael Braungart zusammen mit seinem Kollegen William McDonough das Cradle to Cradle genannte Prinzip der natürlichen Kreislaufwirtschaft entwickelt. Seit Herbst 2008 ist er Professor für den Cradle-to-Cradle-Studiengang an der Erasmus-Universität Rotterdam und Professor für Ecodesign an der Leuphana Universität Lüneburg.

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