Bakterien als Plastikfresser: Lösungen gegen Plastikmüll
Mehrwegbecher oder Stoffbeutel ändern nichts daran: Im privaten Haushalt wächst der Plastikmüllberg weiter. Recycling oder Müllvermeidung allein reichen nicht, um die Umwelt vor Schäden zu schützen. Doch wie lösen wir das Problem mit dem Plastikmüll?
Forscher haben jetzt einen sensationellen Weg aus dem Dilemma gefunden. Sie wollen Bakterien und Pilze einsetzen, die den Plastik einfach auffressen. Wie aussichtsreich ist dieser Plan?
- Plastikmüll im Haushalt: unsere kleine Müllfabrik
- Ist Bioplastik die Lösung?
- Guter Kunststoff, böser Kunststoff: Ideen für die Zukunft
- Bakterien und Pilze mit Plastikhunger
- Plastik-Gourmets in den Alpen und in der Arktis
- Neue Erkenntnisse aus den Meeren
- Mit Seegras gegen Polymere
- Fazit: Bio gegen Plastikmüll
Plastikmüll im Haushalt: unsere kleine Müllfabrik
Rund 7 Millionen Tonnen Plastikmüll fallen in Deutschland pro Jahr an, das sind gut 80 Kilo pro Person, etwa die Hälfte davon sind Verkaufsverpackungen. Mit 40 Kilogramm Plastikmüll pro Kopf und Jahr liegen wir über dem europäischen Durchschnitt von 34 Kilogramm, Schweden beispielsweise kommt nur auf 24 Kilogramm pro Kopf und Jahr.
Außerdem sind wir Weltmeister im Export von Plastikmüll: Mehr als 700.000 Tonnen wurden 2022 ins Ausland verschifft. Hauptabnehmer sind die Niederlande und die Türkei.
Ein Grund für die große Exportmenge könnte das ausbaufähige Kunststoffrecycling in Deutschland sein. Mit einer Verwertungsquote von 46 Prozent (2020) stehen wir im EU-Vergleich zwar nicht schlecht da, gegenüber 2010 (45 Prozent) sind aber kaum Fortschritte zu verzeichnen. Über 50 Prozent der Plastikabfälle werden in Müllverbrennungsanlagen entsorgt, wobei zwar Energie gewonnen, aber auch erhebliche Mengen an Emissionen freigesetzt werden.
Die wichtigsten Kunststoffarten im Hausmüll
- PE (Polyethylen): ist der am häufigsten verwendete Kunststoff, zum Beispiel für Verpackungen oder Müllsäcke.
- PET (Polyethylenterephthalat): wird für Einweg- und Mehrwegflaschen, Lebensmittelverpackungen und als Polyester in Textilien verwendet.
- PP (Polypropylen) wird häufig für Lebensmittelverpackungen verwendet (z. B. Becher für Milchprodukte).
- Polystyrol (PS) wird u.a. für Einwegbecher und -besteck, in aufgeschäumter Form (Styropor) für Isolierbehälter verwendet.
- PUR (Polyurethan): Kommt in Matratzen, Sportschuhen und Haushaltsschwämmen vor.
Plastikmüll: ein Umweltproblem für die Ewigkeit
Gerade durch den hohen Exportanteil tragen wir weiterhin dazu bei, dass Plastikmüll in der Natur, in Flüssen, direkt oder indirekt im Meer landet. Unser Hauptabnehmerland, die Niederlande zum Beispiel, exportiert selbst in großem Stil weiter.
Da Kunststoffe 500 bis 1000 Jahre brauchen, um sich vollständig abzubauen, ist Plastikmüll ein Problem für die Ewigkeit. Im Meer schwimmender Müll zerfällt zwar unter dem Einfluss von UV-Strahlung in kleinste Partikel, die weniger als fünf Millimeter groß sind. Das macht ihn aber nicht weniger gefährlich. Im Gegenteil: Dieses so genannte Mikroplastik steigt in der Nahrungskette von kleinen Meerestieren über Fische bis hin zum Menschen auf. Es enthält eine ganze Reihe von Zusatzstoffen wie Weichmacher, die als gesundheitsschädlich gelten. Auch Körperpflege- und Kosmetikprodukte enthalten teilweise Mikroplastik, das in die Umwelt gelangt.
Wie gefährlich ist Mikroplastik?
Zu den Auswirkungen von Mikroplastik auf Mensch, Tier und Umwelt gibt es noch viel Forschungsbedarf. Was wir wissen: Mikroplastikpartikel im Meer werden von dort lebenden Tieren mit der Nahrung aufgenommen. Bei verschiedenen Tierarten konnten Bestandteile davon im Blut, Fett- oder Muskelgewebe nachgewiesen werden. Laborversuche mit Krebsen, Seeigeln und Kleinstlebewesen zeigten negative Auswirkungen auf Wachstum und Fortpflanzung.
In diesem Artikel erfahren Sie, wie gefährlich Mikroplastik für den menschlichen Körper ist und was wir dagegen tun können »
Ist Bioplastik die Lösung?
In den letzten Jahren haben sogenannte Biokunststoffe oder Bioplastik viel Aufmerksamkeit erregt. Aufschriften wie „Besteck aus Bioplastik“ oder „Verpackung zu 100 Prozent biologisch abbaubar“ suggerieren, dass es sich in beiden Fällen um Produkte aus natürlichen Rohstoffen handelt. Und nicht wenige glauben, sie könnten dann in der Biotonne oder auf dem Komposthaufen im Garten entsorgt werden. Beides stimmt nicht. Sortieren wir also unseren Bioplastik-Müll!
Biokunststoff oder Bioplastik ist ein Oberbegriff für
- Biobasierte Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen wie Zuckerrohr, Mais oder Zellulose, die biologisch abbaubar sind oder auch nicht (z.B. sogenanntes Bio-PET).
- Produkte auf Erdölbasis, die biologisch abbaubar sind.
Und wohin mit dem Bio-Plastikmüll? Richtig: In die Gelbe Tonne, zum Recycling, wie alle anderen Kunststoffabfälle auch. Ein „Bio“ auf der Verpackung ändert also nichts am Müllaufkommen. Hinzu kommt, dass die Produktion von Zuckerrohr oder Mais für Plastik in Flächenkonkurrenz zum Anbau von Nahrungsmitteln steht und damit neue Probleme schafft.
Biologisch abbaubar heißt nicht: kompostierbar
Biologisch abbaubar bedeutet, dass das Produkt durch natürliche Prozesse nach und nach vollständig in CO2, Wasser und Biomasse zerfällt. Dies ist nicht gleichbedeutend mit kompostierbar - letzteres beschreibt eine zeitlich festgelegte Zersetzungsdauer. Auch wenn ein Kunststoff kompostierbar ist, gehört er nicht auf den Komposthaufen oder in die Biotonne, da er langsamer verrottet als beispielsweise Küchenabfälle. Eine Kompostierung von Biokunststoffen im industriellen Maßstab findet jedoch nicht statt.
Guter Kunststoff, böser Kunststoff: Ideen für die Zukunft
Recycling funktioniert nur bedingt, Bioplastik ist zumindest teilweise eine Mogelpackung. Neue Lösungen sind also gefragt und die Wissenschaft arbeitet daran. Das Thema „biologische Abbaubarkeit“ spielt dabei eine wichtige Rolle, nur der Denkansatz ist ein anderer als bei Biokunststoffen. Statt sich darauf zu konzentrieren, „gute“ abbaubare Kunststoffe herzustellen, wird nach Wegen gesucht, „böse“ Kunststoffe so zu zersetzen, dass nur unbedenkliche oder sogar nützliche Stoffe übrigbleiben. Dies könnte z.B. in Kläranlagen geschehen.
Die Kläranlage der Zukunft
Kläranlagen sind wichtig, um unsere Flüsse sauber zu halten. Schon heute ist es in fortschrittlichen Kläranlagen möglich, über die sogenannte 4. Reinigungsstufe selbst kleinste Spurenstoffe aus dem Abwasser zu filtern. Und nicht nur das: Es ist auch möglich, die Wärme aus dem Abwasser zurückzugewinnen und zu nutzen. Wir erklären, wie es funktioniert: Wärme aus der Tiefe: Abwasser als Energiequelle nutzen »
Bakterien und Pilze mit Plastikhunger
Bei der Entwicklung neuer Methoden, um Plastikmüll abzubauen, setzen Wissenschaftler auf winzige Helfer. Schon seit einiger Zeit sind Mikroorganismen bekannt, die Kunststoffe als Nahrung nutzen und zersetzen.
In Japan beispielsweise haben Forscher 2016 ein Bakterium identifiziert, das PET als Hauptnahrungsquelle nutzen kann. In skandinavischen Seen wurden Bakterien entdeckt, die im Wasser gelöste Plastikreste nicht nur fressen und verdauen können - sie schmecken ihnen offenbar sogar besser als natürliche Nahrung!
Von solch erstaunlichen Entdeckungen bis zu praxistauglichen Verfahren in Kläranlagen sei es aber noch ein weiter Weg, betonen die Wissenschaftler. Doch die jüngsten Forschungsergebnisse machen Mut, dass es bald konkrete Lösungen im Kampf gegen Plastik geben wird.
Was passiert, wenn Mikroorganismen Plastikmüll fressen?
Der Abbau von Kunststoffen durch Bakterien oder Pilze wird auch als „enzymatisches Recycling“ bezeichnet. Die Mikroorganismen produzieren bestimmte Enzyme (Eiweiße), die den Zersetzungsprozess beschleunigen. Dabei werden die Molekülketten (Polymere), aus denen die Kunststoffe aufgebaut sind, wieder aufgespalten (Depolymerisation). Aus den verbleibenden Einzelmolekülen (Monomeren) können neue Kunststoffe hergestellt werden. Man kann entweder mit den Mikroorganismen selbst arbeiten, sie zum Beispiel auf Kunststoff wachsen lassen, oder nur die von ihnen produzierten Enzyme nutzen.
Plastik-Gourmets in den Alpen und in der Arktis
Ein Beispiel dafür, was wir über plastikfressende Mikroben wissen und was noch erforscht werden muss, kommt aus der Schweiz. Bisherige Versuche haben gezeigt, dass für den biologischen Abbau von Kunststoffabfällen Temperaturen um 30 Grad notwendig sind. In der industriellen Anwendung würde dies einen sehr hohen Energieverbrauch bedeuten.
Ein Schweizer Forscherteam der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) hat nun Bakterien und Pilze entdeckt, die bereits bei rund 15 Grad aktiv werden. Für ihre Studie vergruben die Forscher ein Jahr lang Plastikteile in den Alpen und in der Arktis und identifizierten anschliessend die Mikroorganismen, die sich darauf angesiedelt hatten. Insgesamt entdeckten sie 19 Bakterien- und 15 Pilzstämme. Anschließend untersuchten sie im Labor, welche Kunststoffarten abgebaut werden konnten.
Besonders erfolgreich waren zwei Pilzarten bei Polyurethan (PUR) und zwei so genannten Biokunststoffen (PBAT und PLA). Das weit verbreitete PET konnten die Mikroschädlinge dagegen nicht knacken. Im nächsten Schritt wollen die Forscher nun untersuchen, welche Enzyme die Bakterien und Pilze produzieren, um Kunststoffe zu verdauen.
Neue Erkenntnisse aus den Meeren
Im Rahmen des Projektes PLASTISEA untersucht das GEOMAR Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung Kiel seit einigen Jahren plastikabbauende Mikroorganismen im Meer. An Mikroplastikpartikel, die durch Strahlung und Reibung entstehen, können die Enzyme besonders gut andocken. Die Forscher entdeckten auch, dass marine Schwämme eine ergiebige Quelle für neue plastikabbauende Bakterien sein könnten.
Deren Einsatz soll künftig aber nicht im Meer, sondern in Kläranlagen oder möglicherweise auch direkt im Haushalt erfolgen, zum Beispiel mit Enyzm-Kartuschen für Dusch- oder Waschbeckenabflüsse. Damit würde Mikroplastik aus Duschgel, Shampoo oder Kosmetika direkt vor Ort unschädlich gemacht.
Die Wissenschaftler des GEOMAR und der Universität Kiel haben noch eine weitere Idee: Bei der Suche nach plastikfressenden Mikroorganismen sollte man sich weniger auf einzelne Bakterien und Enzyme konzentrieren, sondern mehr auf Bakteriengemeinschaften. Bei einzelnen Arten könne es leicht zu Ausfällen kommen.
Mit Seegras gegen Polymere
Ein anderer Ansatz im Kampf gegen Plastikmüll kommt von Forschern der Universität Barcelona. Sie fanden heraus, dass Neptungras (Posidonia oceanica), eine weit verbreitete Wasserpflanze, Plastikpartikel aus dem Meer aufnimmt und bindet. Wird das Pflanzenmaterial im Herbst oder Winter von Stürmen abgerissen, verklumpt es mit dem Plastikmüll zu münz- bis tennisballgroßen so genannten See- oder Meeresbällen. Diese werden an den Strand gespült und können dort eingesammelt werden.
Die Forscher schlagen vor, zur Säuberung der Meere Seegraswiesen anzulegen, die zudem große Mengen CO2 speichern können, was auch dem Klimaschutz zugute käme. Allerdings greift diese Methode erst, wenn es zu spät ist. Ziel sollte es eigentlich sein, dass in Zukunft gar kein Plastik mehr ins Meer gelangt.
Fazit: Bio gegen Plastikmüll
- Rund 80 Kilogramm Plastikmüll, die Hälfte davon aus Verpackungen, fallen in Deutschland pro Jahr und Einwohner an. Trotz Recycling bleibt Plastikmüll ein Umweltproblem.
- Sogenannte Biokunststoffe sind derzeit kaum besser zu verwerten als herkömmliches Plastik, tragen also kaum zur Lösung des Problems bei.
- Mit Hilfe von plastikfressenden Bakterien und Pilzen wollen Forscher Plastikmüll unschädlich machen, bevor er in die Umwelt gelangt.
- Seegraswiesen sind eine Möglichkeit, Meerwasser von Plastikpartikeln aus dem Meer zu säubern.
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