Mehrgenerationenhaus bauen: Gründung, Planung, Bau
Wenn Sie ein Mehrgenerationenhaus bauen möchten, gibt es bei der Gründung und Planung ein paar Aspekte, die Sie beachten sollten. Denn von der Idee, für mehrere Generationen zu bauen, bis zur Realisation ist es ein weiter Weg. Wenn Sie die Sache jedoch Schritt für Schritt angehen, dann kommen Sie sicher ans Ziel.
In diesem Artikel:
- Die Gründung
- Die Planung
- Worauf Sie beim Bauen achten sollten
- Beispiele für kleine, mittlere und große Mehrgenerationenhäuser
- Literaturtipps
Ein Beitrag unserer Redaktion.
Ein Mehrgenerationenhaus bauen: die Gründung
Wenn Sie ein eigenes Mehrgenerationenhaus gründen und bauen möchten, gibt es vor Ort inzwischen viele Berater, die Sie über eine Internetrecherche finden können. In Stuttgart ist das zum Beispiel KoWerk – Werkstatt für Kooperation, Konsens und Ko-Kreation von Katja Bürmann. Die Beraterin für Neues Wohnen hat viel Erfahrung mit Mehrgenerationenhäusern, die immer häufiger gemeinschaftlich umgesetzt werden.
„In den vergangenen Jahrzehnten wurden bereits viele Mehrgenerationenhäuser gebaut, in Forschungsprojekten begleitet und über Programme gefördert“
Katja Bürmann
Wenn Sie wissen möchten, wie genau sich das Leben in einem Mehrgenerationenhaus gestaltet, gelangen Sie hier zu unserem Interview mit Katja Bürmann. Dort erfahren Sie, welche Gründe es für einen gemeinsamen Lebensraum gibt, was ein gutes Mehrgenerationenhaus ausmacht und warum klare Strukturen dafür so wichtig sind.
Einige Organisationen bieten auch bundesweit professionelle Hilfe:
Sie möchten ein Mehrgenerationenhaus bauen, wissen aber noch nicht genau, wie Sie sich organisieren sollen? Oder Sie sind noch auf der Suche nach Partnern zum gemeinsamen Bauen oder nach Projekten, an denen Sie sich beteiligen können? Hier ist eine Übersicht mit Organisationen, die Ihnen bei der Orientierung helfen:
Das FORUM Gemeinschaftliches Wohnen e.V. Bundesvereinigung entwickelt und setzt selbst organisierte und gemeinschaftliche Wohnformen um. Unter anderem bietet es eine Börse mit Projekten, an denen Sie sich beteiligen können. Sie können dort aber auch selbst ein Projekt einstellen, um weitere Interessenten zu finden. In der Suche können Sie nach Bundesländern filtern. Unter Service und Informationen gibt es Beispiele für gute Umsetzungen. Das Forum ist zudem Geschäftsstelle des Modellprogramms ‘Gemeinschaftlich wohnen, selbstbestimmt leben’ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Bis 2019 förderte und dokumentierte das Programm innovative Projekte für eine selbständige Lebensführung älterer und hochaltriger Menschen im Quartier, für bezahlbares Wohnen – besonders für Menschen mit niedrigem Einkommen – und eine generationengerechte und inklusive Wohnumgebung.
Das Wohnprojekte-Portal vernetzt selbst organisierte gemeinschaftliche Wohnprojekte sowie Baugruppen und –Gemeinschaften, die gemeinsam bauen und dann in Wohnungseigentum aufteilen. Hier finden Sie auch Informationen für das Leben miteinander. Rubriken sind unter anderem Projektsuche/Projekttermine, Wohnangebote/ -wünsche, Immobilienangebote und Bundesländer-Tipps. Eine übersichtliche, interaktive Karte zeigt realisierte Projekte und solche in Gründung, die meist noch Mitstreiter suchen.
Der Wohnbund eV ist ein Verband zur Förderung wohnpolitischer Initiativen. U.a. organisiert er den Stadtfinder Award 2020/2021 rund ums Thema ‘Zukunft des Wohnens’. Im Juni 2021 werden alle Projekte im Rahmen einer Ausstellung präsentiert.
Das Netzwerk Immobilien vermittelt Berater, die Sie unterstützen, wenn Sie solidarisch Immobilien für viele entwickeln wollen, um vielfältiger und lebendiger Stadtteile zu gestalten.
Ein Mehrgenerationenhaus bauen: die Planung
Bei der konkreten Planung hängt es davon ab, für wie viele Parteien Sie Ihr Mehrgenerationenhaus planen. Haben Sie in einem individuellen Projekt vielleicht noch einen Partner mit im Boot, so sind es bei Gebäuden in größerem Maßstab schnell viele Parteien. Der Vorteil, groß zu denken, ist, dass solche Projekte auch mehr politisches Gewicht haben. Für Mehrgenerationenhäuser bieten Länder und Kommunen unterstützende Rahmen, wie Förderprogramme, besondere Grundstücksvergaben und Kooperationsmöglichkeiten.
Individuelle Projekte
Für das unabhängige Wohnen mehrerer Generationen unter einem Dach zeigt die Architektin und Journalistin Astrid Barsuhn individuelle Lösungen (siehe Literatur am Ende des Beitrages: Mehrgenerationenhäuser Planen und Bauen). Bei der Planung sollten Kinder und alternde Nutzer den Rahmen bestimmen. Besonders wichtig für ein komfortables, urbanes Wohnen sind klare Rückzugsräume. „Die gute Differenzierung zwischen privaten und (halb-)öffentlichen Räumen wird auch durch eine gute Architektur ausgebildet”, weiß Bürmann.
Bei etwas größeren Projekten ist es sinnvoll, Aufgaben in der Gruppe zu verteilen. Bei der Planung und in der Bauphase des Mehrgenerationenhauses Mahatma Gandhi etwa wahrten zwei Bauherren die Interessen der Gruppe (hier direkt zum Beispiel springen). Für eine Aufwandsentschädigung von je 2.500 € unterstützten sie die Architekten und den Zuständigen bei der Stadt. Unter anderem diskutierten sie über das 100 Seiten starke Vertragswerk des Anwalts mit Kaufvertrag, Bauherrenvereinbarung, Teilungserklärung, Gemeinschaftsordnung und Bezugsurkunde.
In Abhängigkeit von der Größe des Bereiches ergeben sich Planungsfelder und Umsetzungsmöglichkeiten:
Bereich der Wohnung: was ist zu beachten?
Planungsfeld: Raumkonzept und Grundrissgestaltung
Umsetzung: flexible Grundrisse ermöglichen Anpassung an wechselnde Bedürfnisse; Einliegerwohnung oder andere unabhängige kleine Wohneinheit für heranwachsende Kinder, Eltern oder Pflegepersonal
Planungsfeld: Ausstattung
Umsetzung: Gute Erreichbarkeit von Fenstern und Bedienelementen wie Steckdosen, Klingel, Türdrücker
Planungsfeld: Freibereich
Umsetzung: Schwellenlos erreichbar; guter Sichtschutz
(Quelle: „Generationen Wohnen Neue Konzepte für Architektur und soziale Interaktion“)
Bereich des Gebäudes: was ist zu beachten?
Planungsfeld: Hauseingang
Umsetzung: Barrierefrei erreichbar; ausreichende Bewegungsfläche
Planungsfeld: barrierefreie Erschließung
Umsetzung: Über das gesetzliche Mindestmaß hinausgehende Erschließungsflächen; Ruhe- und Sitzmöglichkeiten
Planungsfeld: Nebenräume
Umsetzung: Abstellmöglichkeiten für Fahrräder, Rollstühle, Rollatoren; Steckdosen zum Laden von Pedelecs und Rollstühlen
Planungsfeld: soziale Interaktion / Service
Umsetzung: Attraktiv ausgestattete Gemeinschaftsräume; Gästewohnung
(Quelle: „Generationen Wohnen Neue Konzepte für Architektur und soziale Interaktion“)
Um zu Beginn die laufenden Kosten zu senken empfiehlt die Architektin Barsuhn eine Einliegerwohnung. Eine Einliegerwohnung ist eine in sich geschlossene Wohneinheit, mit der Möglichkeit einen selbstständigen Haushalt zu führen. Bei einer Vermietung können die Gebäudekosten (Zinsausgaben, Abschreibung, Erhalt) von der Steuer abgesetzt werden. Zudem gibt es Mieteinnahmen. Später können erst die Kinder in die kleine Wohnung ziehen und dann auch eine Betreuungskraft oder die Bauherren selbst.
Im großen Maßstab
Die Autorinnen Christiane Feuerstein und Franziska Leeb empfehlen in ihrem Buch (siehe Literatur: „Generationen Wohnen Neue Konzepte für Architektur und soziale Interaktion“) ein Quartier, das Alternativen zu den klassischen Altenpflegeeinrichtungen bietet. Sie zeigen, dass eine innovative Planung verschiedene Wohn- und Betreuungsangebote im Quartier kleinräumig verknüpfen kann, um ein Netzwerk altersgerechter Unterstützung zu bieten. Ziel sei, sich nicht mehr an Defiziten zu orientieren, sondern die Förderung von Fähigkeiten und die Erweiterung von Kompetenzen in den Mittelpunkt zu stellen.
Neben altersgerechten Grundrissen bedürfe es einer Planung im gesamten Kontext, über das Gebäude hinaus, damit sich das gemeinsame Wohnen zur Nachbarschaft im Quartier entwickelt. In ihrem Buch stellen sie zahlreiche gelungene Projekte vom Haus einer Wohngemeinschaft bis zum gesamten Quartier vor.
Bereich des Wohnumfeldes / Quartiers: was ist zu beachten?
Planungsfeld: unterschiedliche Wohnungsangebote für verschiedene Zielgruppen
Umsetzung: Vielfalt der Wohnungsgrößen; unterschiedliche Wohnformen wie Singles, Familien, Clusterwohnen (Bsp. WagnisART ), betreutes Wohnen
(Quelle u.a.: „Generationen Wohnen Neue Konzepte für Architektur und soziale Interaktion“)
Worauf sie beim Bauen achten sollten
Wie bei allen Bauprojekten ist die Bauleitung für das Timing der Gewerke und die Kontrolle der Handwerker zuständig. Bei größeren Mehrgenerationenhäusern nehmen Vertreter der Bauherren an den Vergabeverhandlungen für die einzelnen Gewerke teil. Nach Abschluss der gemeinsamen Gewerke wie Tiefgarage, Fassade und Dach nehmen sie diese mit den Architekten zusammen ab. Das bedeutet, dass sie die Leistungen des Gewerks rechtlich bindend annehmen. Die Wohnbereiche nimmt jeder Bauherr mit ab.
Wichtig beim Bauen ist die Kontrolle der Ein- und Ausgänge laufenden Zahlungen. Beim Mehrgenerationenhaus Mahatma Gandhi etwa gab es gegen Ende der Bauphase Probleme, weil eine Partei eine Zahlung verschleppt. Weil erst unklar war, wer nicht gezahlt hatte, war die Zahlungsfähigkeit der gesamten Gruppe gefährdet. Erst durch akribische Kontrolle aller Kontoauszüge wurde der Säumer gefunden. Auch die Nutzungsphase bedarf besonderer Betrachtung. „Die gemeinschaftliche Infrastruktur muss gemeinsam getragen werden“, empfiehlt Beraterin Bürmann. Etwa mit der Schaffung einer kleinen Stelle als Hausmeister.
Beispiele für Mehrgenerationenhäuser
Beispiel Mahatma Gandhi in Stuttgart (kleinere Größe)
In einem Stuttgarter Viertel mit vielen Kinderspielplätzen realisierten die Architekten Kottkamp und Schneider ein besonderes Mehrgenerationenhaus für eine private Baugemeinschaft und die Kommune. In einer „public-private-partnership“ erstellten acht Bauleute – fünf Familien mit Kindern und drei Ehepaare – gemeinsam mit dem öffentlichen Träger acht Wohnungen und eine Kindertagesstätte.
Am Konzept beteiligt waren auch Jugendamt, Stadtplanungsamt und Quartiersmanagement. Kita und Eigentümergemeinschaft nutzen gemeinsam den Warmwasserpufferspeicher, Zugangs- und Erschließungsflächen sowie Teile der Kita. Neben den Kindern in der Kita zwischen null und zehn Jahren bewohnen drei Generationen die Wohnungen. Innerhalb der Baugruppe lieh man sich Werkzeuge für den Innenausbau in Eigenleistung, bestellte gemeinsam Baumaterial und besprach das Farbkonzept.
Beispiel Ro70 in Weimar (mittlere Größe)
Der ZDF Länderspiegel berichtete Ende 2020 über das generationenübergreifende Wohnprojekt R070 in Weimar. Der kurze Beitrag gibt Einblicke in den gemeinschaftlichen Alltag der ca. 200 Bewohner. Der Beitrag ist in der Mediathek bis November 2021 verfügbar.
Hier geht es zum Beitrag “Genossenschaftliches Bauen im Trend” des ZDF.
Beispiel Haus der Statistik in Berlin (große Größe)
Seit 2008 stand das ehemalige Haus der Statistik, ein riesiges Gebäude im Herzen von Berlin, leer. Durch eine Gruppe von Aktivisten wurde der Abriss des 50 Jahre alten Gebäudes verhindert. Mit Sanierung und Neubauten soll nun ein Modellprojekt für kooperative und gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung entstehen. Selbstverständlich gehören dazu auch Mehrgenerationenwohnungen.
Insgesamt 300 landeseigene, bezahlbare Mietwohnungen sind zukünftig auf sieben Geschossen sowie in zwei 15- und 12-geschossigen Wohnhochhäusern untergebracht. Drei ‘Experimentierhäuser’ werden für wechselnde Nutzungen gebaut. Drei Höfe, so genannte ‘Stadtzimmer’, entstehen in der Mitte des Areals für gemeinschaftliche Nutzung und Begegnung. Dachgärten und Gemeinschaftsterrassen sorgen für zusätzliches Grün in der dichten Bebauung. Seit Sommer 2019 beleben Pioniernutzer das Erdgeschoss des Bestands mit den Themen Kunst, Kultur, Soziales, Bildung, Nachbarschaft, Klima und Ernährung.
Literaturtipps
Christiane Feuerstein und Franziska Leeb: Generationen Wohnen Neue Konzepte für Architektur und soziale Interaktion, 2015, Edition Detail
Astrid Barsuhn: Mehrgenerationenhäuser Planen und Bauen: Wohlfühlen unter einem Dach, 2006, Blottner
Text: Achim Pilz
Bilder: wenn nicht anders gekennzeichnet: Pixabay und Unsplash
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