in/visible infrastructure − der Energiespeicher der Zukunft?
Typische Energiespeicher sind heute Elektroakkus und Stauseen. Michael Hosch wagt eine architektonische Lösung. Mit seinem Massenspeicher oberhalb von Bahnsteigen würde er zugleich das Stadtbild bereichern. Das Abstraktum Energie wird als Lageenergie im Alltag erfahr- und erlebbar und kann jederzeit mittels Bewegung (kinetische Energie) in Strom umgewandelt werden.
In diesem Beitrag:
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Über Michael Hosch

Michael Hosch studierte Architektur am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und war dort in unterschiedlichen Projekten engagiert. So im kreislaufgerechten Forschungsprototyp ReGrow auf der BUGA in Mannheim 2023 oder im Team RoofKIT, das mit dem Bau eines sortenreinen Prototyps als Gesamtsieger des Solar Decathlon Europe in Wuppertal hervorging. Das Projekt RoofKIT stellen wir in diesem Beitrag näher vor »
Seine hier vorgestellte Masterarbeit „in/visible infrastructure“ wurde durch Prof. Marc Frohn (Privatbüro FAR frohn&rojas) und Prof. Andrea Klinge (Privatbüro ZRS Architekten) betreut.
Warum wir Energie neu denken müssen
Die aktuellen globalen Krisen wie Klimawandel und geopolitische Konflikte zeigen die Risiken einer globalisierten Wirtschaft: Lieferengpässe, Ressourcenknappheit und Energieabhängigkeit stellen unsere Gesellschaft auf die Probe. Die Energiewende in Deutschland hin zu einer Nutzung von 100 Prozent erneuerbaren Energien ist entscheidend für eine unabhängige Versorgung und flächendeckenden Wohlstand. Studien beweisen ihre technische und wirtschaftliche Realisier- und Umsetzbarkeit. Als großer Unsicherheitsfaktor bleiben die Gesellschaft und ihre Akzeptanz von Transformation und Veränderung. Die Transformation zu nachhaltiger Energie erfordert eine radikale Anpassung der Infrastruktur und eine flächendeckende Strategie sowie suffiziente Anpassungen. Die Energiebereitstellung und -speicherung sind Schlüsselthemen. Diese Veränderungen gestalten und prägen auch unser romantisiertes Landschaftsbild neu.
Die Energieinfrastruktur in Deutschland ist nicht nur eine politische und gesellschaftliche Herausforderung, sondern auch eine architektonische. Das Projekt in/visible infrastructure beschäftigt sich mit dem aktuellen Wandel der Infrastrukturlandschaft und der Integration von Energiespeichern als architektonische Typologie. Es entstand eine neue Gebäudetypologie, die fluktuierende Energie in nutzbare Zyklen übersetzt und die Bedeutung der Energie für die Gesellschaft anschaulich und begreifbar macht und diese Erfahrung in den Alltag bringt.

in/visible infrastructure: das Konzept
Die Lageenergie ist eine der wenigen Speichertechnologien, bei denen der aktuelle Speicherstand eine räumliche, haptische und visuelle Erlebbarkeit bietet. Dies nutzt in/visible infrastructure in zehn baugleichen, jeweils 100 Meter hohen Lichthöfen, in denen sich die Gewichte zur Lageenergiespeicherung bewegen.
Die Lageenergiespeicherung erfordert große Massen und Höhe, um eine größtmögliche Energie bereitzustellen. Der Entwurf umfasst rund 2.000 Gewichte mit Massen von durchschnittlich 45 Tonnen in einem Blockraster von 4,5 Metern und könnte so einen Puffer von 28 Megawatt bieten.

Energiespeicher und vertikale Landschaftsmodellierung mit Gewichten
Die einzelnen Gewichte variieren in Nutzungen und Eigenschaften entsprechend ihrer jeweiligen Materialität. Die Massen bestehen aus vermeintlichen Abfallmaterialien, die mit ihren unterschiedlichen Eigenschaften eine neue Landschaft formen und mit neuen Nutzungen einhergehen. So agieren Blöcke mit Abbruchziegeln als Erschließung, Altholzblöcke als Rückzugsnischen, Gabionen mit Bauschutt bilden raumgreifende Bausteine, und große bepflanzte Töpfe werden zu einer hängenden Gartenlandschaft. Jeder Lichthof verfügt außerdem über Sondermodule und leuchtende Blöcke für zusätzliche Nutzungen und die Beleuchtung.

Das Gebäude umfasst zehn vertikale Ebenen mit einer Höhe von zehn Metern und einige halbhohe Zwischengeschosse. In der Mitte des Gebäudes führen in einer acht Meter breiten Achse Aufzügen von den Bahnsteigen bis hoch hinauf. Treppen leiten von jedem Bahnsteig zur Ebene der alle Gleise übergreifenden Plaza, die je nach Speicherstand variabel nutzbar sein wird. Links und rechts der mittleren Achse befinden sich jeweils fünf Lichthöfe, umgeben von Stegen und Brücken.

Energie wird sinnlich erfahrbar
Verfügbarkeit sowie Energieein- und -ausspeicherung werden durch die Bewegung der Blöcke sichtbar gemacht. Diese Bewegung zeichnet die fluktuierenden Eigenschaften der Energien auf und schafft eine sich wiederholende, zyklische Übersetzung, die kontinuierlich die Raumkonfiguration verändert.
Die zufällige Anordnung der Gewichte bewirkt im Zeitverlauf unterschiedliche Lichtverhältnisse, Blickbeziehungen und Zugangswege im Gebäude und folglich auch eine sich wandelnde Atmosphäre und Nutzung. Die transparente und leichte Struktur des eigentlichen Gebäudes bildet einen Kontrast zur Schwere und Materialität der abgehängten Gewichte. Die variable Anordnung erzeugt eine vielfältige Raumlandschaft. Die wechselnden Lichtverhältnisse und die flexible Raumgestaltung verleihen dem Energiespeicher eine architektonische Dimension und machen die körperlosen Dimensionen von Energie direkt erfahrbar.

Die Vision von in/visible infrastructure
Um zukünftig eine bedarfsgerechte Energieversorgung sicherzustellen, ist eine flächendeckende Infrastruktur für Energiespeicher erforderlich. Es ist entscheidend, die Faszination für Energieerzeugung, -verbrauch und -bedarf zu wecken und auch so die gesellschaftliche Akzeptanz für die Energiewende zu fördern. Dies erfordert eine Schnittstelle zur Gesellschaft, die Energiespeicherung zugänglich und erlebbar macht.
Der vorgestellte Entwurf bietet einen architektonischen Vorschlag, Energie mithilfe von Lageenergie über bestimmte Zeiträume zu speichern und die fluktuierenden Eigenschaften erneuerbarer Energien in räumliche Zyklen zu übersetzen.
CRADLE meint
Wenn die Gewinnung erneuerbarer Energien nicht mehr das Problem ist – und die Zuwächse weisen darauf hin –, so bleiben noch Verteilung und Lagerung. Stauseen sind eine Möglichkeit, sie in Lageenergie zu speichern und mittels Bewegungsenergie abzurufen, doch wird die Errichtung neuer Stauseen wohl auf Widerstände stoßen. Die Lösung unseres Protagonisten Michael Hosch ist weit einfacher und oberhalb von Gleiskörpern lokal umsetzbar. Sie kostet zudem keinen Raum, sondern schafft neue Erlebnisräume und macht das Phänomen Energie vor Ort sowohl sinnlich erfahrbar als auch intellektuell nachvollziehbar.
Text und Illustrationen: Michael Hosch auf LinkedIn »
Porträt: Johanna Sonner
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