Gebäuderessourcenpass: "Ziel ist 100 % Zirkularität"

Anna Braune vor Gebäuderessourcenpass
Foto: DGNB, Collage J.Fink Verlag

Der Gebäuderessourcenpass dokumentiert, welche Materialien beim Hausbau verwendet wurden und ob sie recyclingfähig sind. Damit soll erreicht werden, dass Baustoffe besser wiederverwertet werden können.

Es steht außer Zweifel, dass verbaute Materialien für künftige Wiederverwertung dokumentiert werden müssen. Ein großer Vorteil des DGNB-Gebäuderessourcenpasses ist die System- und Technologieoffenheit. Zudem kann er auch in Teilen genutzt werden, wenn man beispielsweise nur ein Bad renoviert. Die Anwendung als Planungstool vor der Baumaßnahme ermöglicht, Ökobilanz und Zirkularität vorab zu prüfen und zu verbessern. Dass am Anfang einfache Exceleingaben stehen und am Ende ein A4-Blatt alles zusammenfasst, senkt die Hemmschwelle.

Wir führten ein Interview mit Dr. Anna Braune, der Mitbegründerin der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen – DGNB e. V. Sie entwickelte den DGNB-Gebäuderessourcenpass, ein Instrument, das die Zirkularität neuer und bestehender Bauten offenlegt.

Das Interview führte Chris van Uffelen
Leitung Print-Redaktion CRADLE

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Print-Ausgabe No. 5 von CRADLE.

Neben dem Interview mit Dr. Anna Braune finden Sie in unserem Print-Magazin rund 100 Seiten zu innovativen Vorreiterprojekten wegweisender Nachhaltigkeitsarchitektur.

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Über unsere Interviewpartnerin Dr. Anna Braune

Dr. Anna Braune
Dr. Anna Braune
Foto: DGNB

Dr. Anna Braune war 2007–08 Gründungsgeschäftsführerin der DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V.). Ab 2008 war Braune bei einem Beratungsunternehmen für nachhaltige Bauprodukte und Lebenszyklusbewertung von Bauten zuständig. Nach Abschluss ihrer Doktorarbeit zum Thema Öko-Benchmarks für Immobilien kehrte Braune 2015 zur DGNB zurück und wurde Leiterin für Forschung und Entwicklung. 2020 war sie Hauptautorin des „DGNB Rahmenwerks für Klimaneutrale Gebäude und Standorte“ mitsamt eines Fahrplans bis 2050.

CRADLE im Interview mit Dr. Anna Braune

Welche Möglichkeiten bietet der Gebäuderessourcenpass?

CRADLE: Frau Dr. Braune, Gebäuderessourcenpass ist ein langes Wort. Was verbirgt sich dahinter?

Anna Braune: Es ist eigentlich ganz einfach. Der GRP – so kürzen wir das ab – ist die transparente und strukturierte Beschreibung der Materialressourcen, die in einem Gebäude stecken, mitsamt der jeweiligen Mengen und der (Umwelt-)Eigenschaften. Und das auf nur einem A4-Blatt. Es verzeichnet alles Wissen um den materiellen Bestand für künftige Sanierung, Umnutzung, Urban Mining und, wenn es denn sein muss, auch den Rückbau.

Gebäuderessourcenpass
Was wurde recycelt, was kann recycelt werden? Wo ist es wann verbaut worden? Holz, Kunststoffe, Elektronik, Metalle, Glas, Gips oder mineralische Baustoffe – alles findet sich dank Gebäuderessourcenpass dereinst wieder.
Foto: DGNB

» Ziel ist 100 Prozent Zirkularität. «

Dr. Anna Braune

CRADLE: Aber es ist nicht nur ein Dokument für künftige Generationen, die sich mit dem gebauten Nachlass des frühen 21. Jahrhunderts beschäftigen müssen?

Anna Braune: Nein, der GBR kann viel mehr. Er ist auch ein Instrument in der Planung und Umsetzung von Gebäuden. Bis vor Kurzem war das gesamte Baugeschehen linear und entwickelte endliche Ressourcen, inklusive Schadstoffen, linear zu Abfällen, die deponiert werden müssen. Nun müssen wir in kürzester Zeit weg von dem Einsatz von Primärressourcen und hin zur Kreislaufwirtschaft kommen. Wir müssen die Ziele ständig höher setzen. Im Zertifizierungssystem der DGNB haben wir ja auch das neue Prädikat „Zukunftsprojekt“ für Bauten, die sich nicht mehr allein am aktuellen Kriterienkatalog 2024 orientieren, sondern an einer schon niedergeschriebenen „Version 2030“, wie wir sie uns heute vorstellen. Ziel ist 100 Prozent Zirkularität.

Dazu muss man bei jedem Neubau schon heute überlegen, was man auch für die Zukunft als wünschenswertes Material bereitstellen kann, also welche Stoffe Bauende suchen werden, wenn der jetzige Neubau irgendwann rückgebaut werden wird. Schon in der Planungsphase von Gebäuden hilft der GRP, sich zu vergegenwärtigen, was das Gebaute an Zirkularität erreichen wird, und ist so Motivation, die Planungen noch einmal zu überdenken: Wo kann das Gebäude noch wiederverwertbarer sein oder noch mehr recyceltes Material oder wiederverwendete Bauteile einbringen? Dann sieht man sofort, wie die Tortenstücke in der Grafik größer und grüner werden, sich die Zirkularität also verbessert.

» Letztendlich ist der GRP eine einfache Excel-Tabelle mit Abfragen, die jeder auf unserer Website herunterladen kann. «

Dr. Anna Braune

CRADLE: Ist das nicht sehr aufwendig?

Anna Braune: Es gibt eine vollständige und eine reduzierte Fassung der GRP, jeweils für Neubau und Bestandsbau. Beim Bestandsbau weiß man ja oft gar nicht so genau, was drinsteckt, und kann dann gar nicht genau ausfüllen. Aber auch beim Neubau besteht die Möglichkeit, gemäß den vorliegenden Informationen einiges zu schätzen oder wegzulassen – die Genauigkeit der Angaben wird in einem Datenqualitätsindex protokolliert. Heute kann man etwa 80 Prozent des Gebäudes genau bestimmen – das ist noch zu wenig, wenn wir 100 Prozent Zirkularität erreichen wollen.

Letztendlich ist der GRP aber eine einfache Excel-Tabelle mit Abfragen, die jeder auf unserer Website herunterladen kann. Mit welcher Tiefe man die Daten erfasst, bleibt – mit Ausnahme einiger Pflichtfelder – jedem selbst überlassen. Man speichert ihn dann lokal oder druckt ihn sich aus. Wir wissen also auch nicht, wie oft er schon genutzt wurde. Es geht uns nicht darum, ein Register für eines Tages Wiederverwertbares zu schaffen – das macht ja Madaster beispielsweise –, sondern darum, jetzt strukturiert und prüfbar kommunizieren und für die Zukunft dokumentieren zu können, wo recycelt wurde und was eines Tages wie recycelbar sein wird.

Beim Urban Mining sollen Materialien, die beim Abriss und Rückbau von Gebäuden anfallen, in einem Kreislaufsystem konsequent als Rohstoffquelle für neue Bau- oder Sanierungsprojekte genutzt werden.

Damit das funktioniert, braucht man aber zunächst einen Überblick, welche Art von wiederverwertbaren Materialien wo und in welchen Mengen im Gebäudebestand künftig anfallen werden. Digitale Gebäude-Materialkataster wie Madaster sollen diese Lücke schließen.

Hier erfahren Sie mehr zu diesem spannenden Ansatz: So funktioniert Urban Mining »

Sitze im VfB-Stadion werden vermessen
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Foto: Concular

Lese-Tipp: Beim Umbau der Stuttgarter Fußballarena half das Unternehmen Concular dabei, Baustoffe zu identifizieren, die sich wiederverwenden lassen. Hier finden Sie die ausführliche Reportage »

CRADLE: Wie sieht das dann im Ergebnis aus?

Anna Braune: Im ersten Teil geht es um allgemeine Informationen zum Gebäude: Wo? Was? Wann? Teil 2 fragt nach den Materialität: Wie viel Holz und wie viel davon ist neu oder wiederverwertet, und wo ist es? Wie viel und was ist Elektronik, und wo sind welche Schadstoffe? Das sind auch wichtige Informationen für die Nutzungsphase. Was gab es an Bau- und Abbruchabfällen?

Die beiden folgenden Teile beschäftigen sich mit der Nutzung: Im dritten Teil sind es Umweltwirkungen in Form von Primärenergiebedarf und Treibhausgasemissionen. Teil 4 sammelt Informationen zur Anpassungsfähigkeit, denn Umnutzung ist ja sehr ressourcenschonend. Demontagefähigkeit und Verwertungspotenzial finden sich in Teil 5: Gibt es bereits ein Rückbaukonzept, was steht für Re- oder gar Upcycling zur Verfügung, und was wird dann wohl doch Müll oder gar Sondermüll werden?

Mit dem GRP kann man dann den DGNB-Zirkularitätsindex entsprechend unserer Qualitätsstandards ermitteln. Der Standard selbst stellt aber unsere Grenzen für „gute ZI“ deutlich dar. Eine weiter gehende Bewertung von Bronze bis Platin haben wir ja schon mit den DGNB-Zertifikaten. Und dabei wirkt sich ein vollständiger GRP natürlich positiv auf das Ergebnis aus. Teil 5 ist dann auch der letzte Teil der Lebenszyklusanalyse (LCA), aber auch der betriebswirtschaftlichen Lebenszykluskosten (Life Cycle Costing, LCC), die Erstellungs-, Betriebs-, Wartungs-, Werterhaltungs-, Abbruch- und Entsorgungskosten beschreiben. Teil 6 schließlich ist die Dokumentation der Datengrundlagen und des zukünftigen Umgangs mit den Daten.

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CRADLE: Und das alles passt auf ein Blatt?

Anna Braune: Nicht im Detail, aber in der Übersicht. Das Blatt fasst zusammen, was an Daten dahinterliegt. Für ausführliche Dokumentationen gibt es sechs Zusatzblätter bis hinunter zur Bauteilebene, in der dann bis zum Hersteller und Modell jedes Türgriffs alles verzeichnet werden kann. Und dann gibt es noch die Anbindung zu den Daten unserer Partner, die Teil der Entwicklung waren: Concular, Madaster, das Circularity Design Toolkit von EPEA oder der Urban Mining Index verzeichnen manches noch detaillierter – Madaster beispielsweise den Wert verbauter Materialien nach Börsenkurs. Schließlich sind die verbauten Ressourcen ja auch eingelagertes Vermögen und beispielsweise bei Krediten wichtig.

Ebenso kann der GRP bei KfW-Anfragen und anderen Förderungen hilfreich sein, und er liefert Informationen für die zunehmend wichtige EU-Taxometrie. Für die Bemessung von Zirkularitätsfähigkeit verbauter Teile – seien es Türangeln, Fenster oder Wärmepumpen – brauchen wir natürlich auch Angaben der Hersteller, und dabei sind die EPDs ebenso wichtig wie die eigene Begutachtung. Dabei konnten wir im Laufe der Entwicklung einige Hersteller überzeugen, ihre Produkte doch zirkulärer zu gestalten.

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Das komplette Interview mit Dr. Anna Braune finden Sie in der Print-Ausgabe No.5 von CRADLE − sowie rund 100 Seiten zu innovativen Vorreiterprojekten wegweisender Nachhaltigkeitsarchitektur.

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