Animal-Aided Design: Wie Tiere die Architektur beeinflussen

Fuchs auf der Straße
Foto: Pexels / Erik Mclean

Hier die Stadt, weit draußen die Natur – so das traditionelle Verständnis von Naturschutz. Doch die Natur ist längst in den großen Städten angekommen, inklusive vieler wild lebender Tiere, die sich im urbanen Umfeld ein neues Zuhause suchen. Warum also nicht die Natur dort schützen, wo sie uns ohnehin schon nahe ist?

Das Konzept des Animal-Aided Design (AAD) zeigt neue Wege für das Zusammenleben von Menschen und wilden Tieren in der Stadt. Dabei werden Schutzzonen für Tiere mit in die Stadtplanung einbezogen, beispielsweise indem noch vorm Bau Unterschlüpfe für Igel oder Vögel mitgedacht werden. Hier erfahren Sie mehr über das interessante Konzept.

  1. Stadt – Mensch – Tier
  2. Kein Paradies für Wildtiere
  3. Die Stadt vom Tier her denken
  4. Animal-Aided Design: Von der Theorie zur Praxis
  5. Chancen und Grenzen der Ko-Habitation
  6. Stadt – Mensch – Tier
  7. Fazit: Biodiversität und Architektur vereinen

Christian Mascheck
Fachautor CRADLE

Stadt – Mensch – Tier

Stare in der Stadt
Stare in der Stadt. Der Vogel des Jahres 2018 cancelt mitunter den Flug nach Süden, wenn die Stadt ihm ausreichend Wärme bietet.
Foto: Pexels/Sam Buscombe

Tiere in der Stadt, da denken wohl die meisten zunächst an Haustiere wie Hunde oder Katzen. Nutztiere im engeren Sinne finden sich kaum noch in Großstädten. Das Pferd beispielsweise, im Vor-Auto-Zeitalter als Transportmittel im Alltag unentbehrlich, dient heute nur noch der Freizeitbeschäftigung und steht meist am Stadtrand oder im Umland im Stall.

Neben diesen Tieren, die der Mensch in die Stadt holte, gibt es aber auch diejenigen, die ihm in die Stadt folgten.

Von jeher zog die Urbanisierung nicht nur Menschen, sondern auch Wildtiere an. Vögel, Insekten, Fische und Säugetiere wanderten in die Städte, oft unter Zwang, weil ihre natürlichen Lebensräume in ländlichen Regionen schrumpften oder schwanden.

In der Stadt gab es weniger natürliche Feinde, dafür ein zusätzliches Nahrungsangebot.

Viele der bepelzten oder gefiederten Zivilisationsfolger passten sich in erstaunlicher Weise den neuen Lebensbedingungen an, lernten, auf Stromleitungen zu klettern, menschliche Abfälle als Nahrungsquelle ausfindig zu machen oder in Hausritzen zu brüten.

Wie Tiere ihre Lebensweise verändern

Städte fungieren auch als „Wärmeinseln“ für Wildtiere: Warum eigentlich noch in den Süden ziehen, sagen sich etwa 300 Stare in Berlin und überwintern stattdessen in der warmen Bahnhofshalle am Alexanderplatz.

Kein Paradies für Wildtiere

Vogel vor der Fensterscheibe
Feind aus Glas: Tausende Wildvögel sterben beim Crash in Glasflächen. Und davon gibt es immer mehr. Die Architektur will es so.
Foto: Pexels/ Büşranur Aydın

Doch bei allen Vorteilen für die wilden Zuwanderer – idyllisch ist das Leben in der Stadt für sie nicht. Zwar haben Wildschweine und Füchse mancherorts gelernt, nachts an der Ampel zu warten, bis sie grün wird, dennoch ist der Autoverkehr eine von vielen Gefahren für freilaufende Tiere.

Städtische Verdichtung und Versiegelung gefährden einmal mehr ihre Lebensräume, der Klimawandel tut ein Übriges. So soll laut einer Projektion in den nächsten Jahren ein Drittel der 500 Kleingewässer in Berlin austrocknen, was auch für die wildlebenden Tiere dramatische Auswirkungen haben dürfte.

Anders als die botanische Vielfalt wird die Tierwelt in der Stadtplanung bisher kaum mitgedacht, vor allem nicht in der Architektur.

So sterben immer noch bis zu fünf Prozent der Vögel in Deutschland – mehr als 100 Millionen Tiere – beim Crash mit Glasscheiben. Große Glasflächen liegen beim Bauen im Trend, den Tieren werden sie zum Verhängnis, weil sie durch Spiegelungen von Himmel oder Bäumen im Glas dieses nicht als Hindernis erkennen.

Öffentliche Parks sind die grünen Lungen unserer Städte. Grüne Oasen in den Städten schützen diese vor Hochwasser, verbessern die Luftqualität, bieten Lebensräume für Pflanzen und Tiere. Klimawandel und Nutzungskonflikte allerdings bringen die städtischen Grünanlagen zunehmend unter Druck. Ein Forschungsprojekt zeigt den den ökologischen und gesellschaftlichen Wert des Grüns in der Stadt auf.

Lesen Sie unseren Artikel: Öffentliche Parks: Die grünen Lungen unserer Städte »

Die Stadt vom Tier her denken

Klassischer Naturschutz ist eher darauf ausgelegt, die Biotope für Tierarten in ihren natürlichen Verbreitungsgebieten zu erhalten. In der Stadt spielte Artenschutz bisher kaum eine Rolle, und wenn dann vor allem als Argument gegen unliebsame Bauvorhaben, wie zum Beispiel der geschützte Juchtenkäfer im Fall des Bahnhofs „Stuttgart 21".

Aber müssen Tiere erst auf der einer Roten Liste stehen, damit ihnen ein Lebensraum in der Stadt zusteht?

Hier hat sich in den letzten Jahren ein neues Denken entwickelt, auch beeinflusst von tierethischen und philosophischen Strömungen, die in radikalen Ausprägungen Tieren sogar die gleichen Rechte wie Menschen zusprechen wollen. So weit muss man aber gar nicht gehen, um zu erkennen, dass „herrenlose“ Wildtiere sich in der Stadt längst als selbstbestimmte Mitbewohner etabliert haben. Warum machen wir sie dann nicht zu Akteuren einer diversen Stadtgesellschaft? Statt Schutzzonen für wilde Tiere einzurichten, könnten wir sie in die Stadtplanung einzubeziehen, um uns den Lebensraum mit ihnen zu teilen. Das ist die Vision von der „Ko-Habitation“, einem gleichberechtigteren Zusammenleben von Mensch und Tier.

Animal-Aided Design: Von der Theorie zur Praxis

Was sich zunächst sehr theoretisch anhört, hat sich zu einer praktischen Methode entwickelt, mit der wild lebende Tiere in die Stadtplanung einbezogen werden können. Sie nennt sich Animal-Aided Design (AAD), in Anspielung auf Computer-Aided Design (CAD). Sie entstand aus der Forschungsarbeit des Ökologen Wolfgang Weisser und des Landschaftsplaners Thomas E. Hauck, die mittlerweile ein Start-up unter dem Namen Animal-Aided Design gegründet haben.

Animal-Aided Design als Teil der Stadtplanung geht in folgenden Schritten vor

  1. Zielarten für das Projekt auswählen: Das müssen nicht unbedingt bedrohte Tierarten sein, sondern zum Beispiel auch ein Vogel mit gern gehörtem Gesang, etwa die Amsel.
  2. Artenporträts erstellen: Die sogenannten Artenporträts beschreiben, was eine Tierart zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse braucht („kritische Standortfaktoren“). So wird beispielsweise ein Spatz den Nistkasten nicht annehmen, wenn er in der Nähe keine Nahrung zum Füttern der Jungen findet. Auch das Verhältnis zum Menschen gehört dazu: Was macht eine Tierart für den Menschen attraktiv, was eher abstoßend, was wiederum schreckt die Tiere ab?
  3. Detailplanung: Ein detaillierter Entwurfsplan enthält Angaben darüber, wie die kritischen Standortfaktoren in dem Projekt erfüllt werden sollen. Einige Beispiele aus dem Werkzeugkasten des AAD:
    • Igelschublade: Höhlenähnliche Öffnungen in der Fassade als Tagesquartier oder zum Überwintern für Igel.
    • Spechtlaterne: Baumersatz aus verschiedenen Holzarten mit Bohrungen und Höhlungen als Angebot für Grünspechte, die nur zögerlich künstliche Bruthöhlen annehmen.
    • Tiergerechte Gründächer und -fassaden: Gebäudebegrünung hat bisher oft nur die Pflanzen im Auge. Gründächer für Tiere brauchen eine gewisse Tiefe, kleine Hügel und Totholz. Damit sich Vögel und Insekten überhaupt in der begrünten Fassade einfinden, brauchen sie Zugangswege über Grünstreifen und -schneisen.
    • Maßnahmen gegen Vogelschlag: Statt der üblichen ­– wirkungslosen – Greifvogelsilhouette an Glasscheiben arbeiten AAD-Architekten beispielsweise mit zuvor im Flugtunnel erprobten Markierungen. Das Berliner Architekturbüro Richter Musikowski arbeitet mit einem Raster aus Punkten. Das beeinträchtigt zwar etwas den Ausblick, rettet aber vielen Vögeln das Leben.
  4. Bauphase und Monitoring: Für die korrekte Umsetzung braucht es eine ökologische Bauaufsicht. Danach sollte über mehrere Jahre überprüft werden, ob sich die Zielarten ansiedeln und vermehren, und ob bestimmte Maßnahmen besonders erfolgreich waren.

Vogelschutz fürs Fenster: So retten Sie Wildvögeln das Leben

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Aqua Tower
Das Glas und die Lichter von Wolkenkratzern stellen eine Gefahr für Hunderttausende von Zugvögeln dar. Doch der 82-stöckige Aqua Tower ist ein Beispiel für vogelfreundliches Design. Seine wellenförmigen Balkone und sein gesprenkeltes Glas bricht Reflexionen. Das verhindert, dass Vögel verwirrt werden und mit den Glasflächen kollidieren.
Foto: Hedrich Blessing

Vogelschutz dank innovativer Architektur

Ein Beispiel für Animal-Aided Design, bevor es den Begriff überhaupt gab: Der 2010 erbaute, mehr als 250 Meter hohe Aqua Tower in Chicago wirkt durch seine wellenförmigen Balkone und Terrassen wie eine Skulptur, die sich bewegt und um die eigene Achse dreht. Für Menschen ist dies beeindruckend anzusehen, Vögel hält es davon ab, auf das Gebäude zuzufliegen. Chicago liegt auf einer wichtigen Flugroute von Zugvögeln.

Chancen und Grenzen der Ko-Habitation

Beim Animal-Aided Design gewinnen nicht nur die Tiere, sondern auch die Menschen. Das bestätigen Rückmeldungen aus bereits bestehenden Projekten. Die Bewohner schätzen die belebte Natur direkt vor der Haustür. Tiere aus der Nähe zu beobachten, macht besonders Kindern Freude. Auch eher unscheinbare Tierarten bringen Vorteile für die Menschen, etwa Schlupfwespen, die Motteneier unschädlich machen. Aber halt ­– da sind wir wieder bei der menschlichen Einteilung von Tierarten in Nützlinge, Schädlinge und „Lästlinge“ wie die zwar ungefährlichen, aber doch höchst unbeliebten Silberfischschen oder Kellerasseln.

Eine Befragung unter Wohnungsbaugesellschaften ergab eine klare Rangfolge von Tieren die erwünscht sind (Singvögel, Schmetterlinge), toleriert werden (Greifvögel, Frösche) oder definitiv unerwünscht sind (Wildtauben, Waschbären). Die Anwesenheit von Füchsen in der Stadt wird wegen möglicher Übertragung des Fuchsbandwurms kontrovers diskutiert. Das Image von Fledermäusen hat sich im Zuge der Corona-Pandemie nicht unbedingt verbessert, und einem wehrhaften Wildschwein möchte man nachts an der Mülltonne nicht unbedingt begegnen.

Mit welchen Tieren und wie weit wird die Ko-Habitation in der Stadt tatsächlich gelingen?

Wird das Animal-Aided Design auch für solche konfliktreichen Mensch-Tier-Beziehungen Lösungen finden? Das dürften spannende Fragen für zukünftige Projekte sein.

Spechtlaternen
„Spechtlaternen“ dienen als Rastplätze für Vögel in Wohngebieten.
Foto: TOEK/TUM

Beispielprojekte mit Animal-Aided Design

Brantstraße: Ein erstes Pilotprojekt für AAD startete 2015 in Kooperation mit der Münchner Wohnungsbaugesellschaft GEWOFAG. In München-Laim, einem dicht besiedelten Gebiet, wurden in einem sozialen Wohnungsbauprojekt verschiedene Maßnahmen wie Fassadennisthöhlen, Igelschubladen, Spechtlaternen, Fledermauskästen sowie Gründächer umgesetzt. Viele Tierarten nahmen das Wohnraumangebot gerne an – die Vogelnistplätze waren schnell besetzt. Auch bei den menschlichen Bewohnern gab es keinerlei Ablehnung.

Oberbillwerder: Im Osten Hamburgs soll auf rund 120 Hektar ein neuer Stadtteil mit bis zu 7.000 Wohneinheiten, zwei Schulen, 14 Kitas, Mobility Hubs, Einkaufsmöglichkeiten und auch etwa 30 Hektar öffentliche Grünflächen entstehen. Das Studio Animal-Aided Design wurde mit der Planung eines Konzepts zur Integration von Tieren beauftragt. Die Zielartenauswahl umfasst derzeit 20 Tiere, darunter Vögel, Säugetiere, Fische und Insekten. Maßnahmen sollen in und an Gräben und Kanälen, einem zentralen Grüngürtel, sowie Plätzen, Gärten, Höfen, Fassaden und Dächern umgesetzt werden.

Fazit: Biodiversität und Architektur vereinen

Wildtiere wandern in die Städte ein, passen ihre Lebensgewohnheiten an, sind dort aber auch vielen Gefahren ausgesetzt. Klassischer Naturschutz hat sich bisher wenig mit wild lebenden Tieren in der Stadt beschäftigt.

Animal-Aided Design (AAD) ist ein neuer Ansatz, um Wildtierarten nicht nur in die Stadtplanung, sondern auch in die Architektur zu integrieren. Erste Erfahrungen mit AAD-Projekten zeigen positive Effekte für Tiere und Menschen.

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