Sanierung oder Abriss: Debatte um Klimaschutz und Gesundheit entzweit Bau-Experten

Besser dämmen, effizienter heizen, Rohstoffe recyceln: Die Sanierung alter Häuser für mehr Klimaschutz ist umstritten. Besser wäre ein Abriss bestehenden Wohnraums, meint Cradle-to-Cradle-Pionier Michael Braungart. Die Streitfrage entzweit die Fachwelt.

  1. Pro Sanieren: Energieverluste verringen durch bessere Dämmung
  2. Pro Abriss: Gesundheitsschutz vor Energiesanierung
  3. Aufwand für energetische Sanierung (noch) unbekannt
  4. Umdenken beim Wohnungsbau soll helfen Wohnraum zu sichern
  5. Braungart fordert Umdenken beim Bauen

Gerd Pfitzenmaier
Gastautor CRADLE

Pro Sanieren: Energieverluste verringen durch bessere Dämmung

Nach der Sanierung fällt in modernisierten Gebäuden deutlich weniger Heizenergie an.

Wir stecken in der Zwickmühle: Klima- versus Gesundheitsschutz. Einerseits erfordert das wirksame Eintreten gegen den Klimawandel eine deutliche Reduktion des energetischen Verbrauchs vor allem fossiler Brennstoffe in Wohnräumen. Denn die sorgen durch ihre Freisetzung von Kohlendioxid (CO2) für eine weitere Erwärmung der Atmosphäre mit allen Konsequenzen.

Experten aus Umweltverbänden oder Sanierungsspezialisten raten daher mit Blick auf den Verbrauch von Heizenergie dazu, Wohnungen und Häuser rasch zu sanieren, sie besser zu dämmen und mit moderneren Heizungen wie Wärmepumpen auszurüsten. Das soll Energieverluste minimieren und den Ressourceneinsatz optimieren. Schließlich hat sich Deutschland ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Bis 2045 müssen alle Öl- oder Gas-Heizungen verschwinden. Deutschland will Wärme in Wohnräumen nur noch CO2-neutral erzeugen.

Ein EU-Richtlinienentwurf enthüllt aktuell zudem, dass es neben einem geplanten Heizungsverbot bald auch einen Sanierungszwang für Millionen von Häusern geben könnte. Laut diesem Entwurf sollen bis zum Jahr 2033 sämtliche Wohngebäude in Deutschland einen bestimmten Energiestandard erfüllen.

"Jetzt ist rechtzeitiges Handeln gefragt, sonst können Hausbesitzer in eine Kostenfalle geraten", sagt Luca Arenz. Er ist Bauphysiker und Fachplaner für Passiv-, Null- und Plus-Energie-Häuser bei der ARCenergie GmbH.

Betroffen von den Zwangssanierungen wären, so Arenz, Wohngebäude der Energieklasse E, F oder G. Die müssten dann saniert werden, da diese energetischen Standards von 1982 bis 1995 entsprechen. Gebäude der Kategorien A, B, C und D sind von der Sanierung ausgenommen. Sein Tipp für Hausbesitzer: Um herauszufinden, ob eine Sanierung notwendig ist, empfehle es sich, den Energieausweis des Gebäudes zu überprüfen. Liege der Verbrauch zwischen 100 und 130 Kilowatt pro Quadratmeter im Jahr, sei keine Sanierung notwendig. "Wenn er jedoch höher ist, muss das Objekt saniert werden, um mindestens den energetischen Standard D zu erreichen", sagt der Experte.

Maßnahmen zur Erreichung des energetischen Standards

Besonders zielführend bei der Erreichung des Standards sei, sagt Luca Arenz, die Fassadendämmung. Wenn das Gebäude noch nicht gedämmt ist und aus nicht hochdämmenden Steinen gebaut wurde, sei dies besonders sinnvoll. Auch eine Dachdämmung könne dazu beitragen, den energetischen Standard zu erreichen, insbesondere wenn das Dach ohnehin erneuert werden muss.

Zur Durchführung solcher Sanierungsmaßnahmen können Hausbesitzer eine Förderung von 15 bis 20 Prozent seitens der BAFA erhalten, erklärt Arenz.

Eine sinnvolle Maßnahme bei der energetischen Sanierung von Gebäuden ist es, zuerst energetische Maßnahmen im Objekt durchzuführen und die Heizung als letztes zu tauschen. Denn durch die Dämmung von Wänden, Dach oder Kellerdecke kann der Wärmebedarf des Gebäudes deutlich gesenkt werden, was sich positiv auf die Größe und Kosten der benötigten Heizungsanlage auswirkt.

Hierbei bieten sich Brennstoffheizungen, Blockheizkraftwerke, Holzheizungen oder Wärmepumpen als Optionen an. Besonders effizient ist die Kombination einer Wärmepumpe mit Photovoltaik, um den Energiebedarf möglichst regenerativ und autark zu decken.

Pro Abriss: Gesundheitsschutz vor Energiesanierung

Portrait Michael Braungart
Portrait Michael Braungart, Entwickler des Cradle-to-Cradle-Konzepts. Foto: Anna Bauer

Andererseits warnen Fachleute wie Cradle-to-Cradle-Initator und Professor Michael Braungart, bei derlei Sanierungen der Bausubstanz die Gesundheit der Bewohner nicht aus den Augen zu verlieren. Das hieße, „das Kind mit dem Bade ausschütten“, mahnt der (Ex-Greenpeace-)Chemiker. Braungart warnt vor schädlichen Substanzen, die noch immer viele Häuser zu "Giftmüllhalden" degradierten. Vor allem Wohnungen aus den 1960- und 1070er-Jahren verpesten laut Braungart die Atemluft und machen die Bewohner krank.

Er widerspricht den in der Debatte aus Klimaschutzsicht angemahnten (energetischen) Sanierungen. Für Braungart rangiert die Gesundheit der Bewohner vor der Energiefrage. „Asbest oder Holzschutzmittel sollten wir schleunigst raus reißen“, erklärt der Chef des Hamburger Umweltinstituts und fordert: „Ich bin eher für eine Abrisspflicht der alten Gemäuer.“

Es geht um rund 43 Millionen Bestandswohnungen, die es laut Statistischem Bundesamt in Deutschland gibt. Der jüngste offizielle Zensus erhob den Bestand jedoch bereits 2011. Erst im Herbst 2023 erwartet die Bundesregierung neue Daten – auch zum Leerstand im Land. Knapp die Hälfte der Wohnungen und Häuser gehört Eigentümern.

Übrigens: In der 2. Printausgabe von CRADLE erläutert er seine Gedanken zu diesem Thema ausführlicher (Erscheinungstermin: April 2023).

Aufwand für energetische Sanierung (noch) unbekannt

Sanierungen sind kostspielig, vor allem, wenn sie die Gebäudesubstanz betreffen.

„Im Jahr 2019 lagen die direkten Treibhausgas-Emissionen im deutschen Gebäudesektor bei 115 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten“, sagt ein Sprecher des Bundesbauministeriums (BMWSB) in Berlin. Damit hinkt der Bau- und Wohnbereich hinter den Versprechen der Regierung hinterher. „Sie konnten damit gegenüber 1990 um 45 Prozent reduziert werden“, verteidigt der Sprecher von Ministerin Clara Geywitz (SPD) (damals lagen die Emissionen bei 210 Mio. t CO2-Äquivalente).

Das klingt vordergründig gut. Die selbstverkündete Zielmarke der Bundesregierung aber ist – zumindest auf dem Papier des Koalitionsvertrags – doch noch ehrgeiziger. „Bis zum Jahr 2030 sind die Emissionen auf 67 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente zu reduzieren“, verlautbart daher auch der BMWSB-Sprecher. Aktuell lasse sich „aufgrund fehlender Daten (z.B. zu verwendeten Baustoffen) keine gesicherte Aussage dazu treffen, wie hoch der Aufwand für Sanierungen ist“, muss der Ministeriumssprecher auf Anfrage von Cradle-Online aber einräumen. Dennoch sei die Sanierung des Wohnraumsubstanz Ziel der Regierung. Sie bleibe „Grundvoraussetzung für die Erreichung der klimapolitischen Ziele“, so der Ministeriumssprecher gegenüber Cradle Online.

Erreicht werden könne dies laut BMWSB durch Maßnahmen, wie eine „Dämmung der Gebäudehülle, Einbau effizienter Fenster oder anderer Fassadenbauteile, die luftdichte Herstellung von Gebäuden sowie den Einsatz hocheffizienter anlagentechnischer Systeme für Heizung, Kühlung und Licht- und Beleuchtungstechnik“, erklärt der Ministeriumssprecher. Nur so ließen sich „die Effizienzpotenziale heben“.

Umdenken beim Wohnungsbau soll helfen, Wohnraum zu sichern

Ein Umdenken fordert aufgrund der großen Herausforderungen beim Wohnungsbau auch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU): hin zu mehr Ressourcenschutz. Recyclingbeton, schreibt die Umweltstiftung, könne als Wertstoff dazu beitragen, den von der Regierung angestrebten Bau von 400.000 Wohnungen pro Jahr voranzubringen. Denn geschätzte 4,2 Prozent aller Wohnungen in Deutschland stünden leer, räumt der BMWSB-Sprecher ein. Das entspreche ungefähr 1,7 Mio. Wohnungen.

Beim Bau dieser neuen Wohnungen könnte die Branche laut DBU mit dem wiederverwerteten Abbruchmaterial durch den Einsatz von Recycling-Verfahren mit verringertem Treibhausgas-Ausstoß rechnen. Zum Beleg zitiert die DBU eine von ihr beauftragte Studie: „Eine ein Quadratmeter große und 14 Zentimeter dicke Recycling-Stahlbeton-Innenwand verursacht bezogen auf die CO2-Ersparnis eine 13-prozentige Minderung gegenüber einer Standard-Stahlbeton-Innenwand gleicher Größe.“

Braungart fordert Umdenken beim Bauen

Das sieht Prof. Michael Braungart kritischer: „So wichtig die Energieoptimierung für den Klimaschutz erscheint, sie löst die Probleme, sie verschärft sie höchstens.“ Dämmstoffe seien in der Herstellung energieintensiv, betont Braungart, daher würde sich ihre Ökobilanz „erst nach Jahren der Nutzung zum Positiven wandeln“. Er plädiert vielmehr für ein generelles Um- und Neudenken unserer Art zu Bauen. „Lasst uns die Krise als Chance nutzen und in Zukunft für Menschen bauen“, fordert Braungart.