
Traditionelle alpine Architektur von historischen Gebäuden neu entdecken, bewerten und nachhaltig entwickeln – das ist das Ziel des europäischen Forschungsprojekts ATLAS. Zwei Professorinnen der Fakultät für Architektur sind in der wissenschaftlichen Leitung des Projektes aktiv.
In diesem Artikel:
- Die Schönheit des Alten
- Gebäude nachhaltig entwickeln
- Gebäudeatlas für alpine Architektur
- Bewertungsschema für alpine Architektur
- Kommunen sind gefragt
- Projektdaten
Ein Gastbeitrag der Hochschule München.
„Wir wollen die traditionelle alpine Architektur bewahren und historische Gebäude – auch Häuser und Ensembles jenseits des Schutzniveaus – erhalten und für die Zukunft rüsten.“
Prof. Dr. Silke Langenberg und Prof. Dr. Natalie Eßig
Die Schönheit des Alten: alpine Architektur
Wer Urlaub in den Bergen macht, sieht sie oft: alte, traditionelle Bauernhäuser in einem kleinen Bergdorf. Sie sind nicht mehr bewohnt, und langsam aber sicher beginnt ihr Verfall. Für die Renovierung oder Sanierung solcher Häuser macht sich das Projekt »Advanced Tools for Low-carbon, high-value development of historic architecture in the Alpine Space« (ATLAS) stark.
»Wir wollen die traditionelle alpine Architektur bewahren und historische Gebäude – auch Häuser und Ensembles jenseits des Schutzniveaus – erhalten und für die Zukunft rüsten. Gleichzeitig sollen sie energieeffizient und nachhaltig saniert werden, denn nur so können wir die ehrgeizigen Klimaschutzziele erreichen und die Merkmale der alpinen Kulturlandschaft schützen«, erklären Prof. Dr. Silke Langenberg und Prof. Dr. Natalie Eßig das Konzept.
Die beiden Professorinnen ergänzen sich ideal in diesem Projekt: während Eßig die Professur für Baukonstruktion und Bauklimatik inne hat und Expertin für Nachhaltigkeit ist, ist Langenberg Professorin für Bauen im Bestand, Denkmalpflege und Bauaufnahme und steht für die Bewahrung der historischen Bausubstanz unter Berücksichtigung ihrer kulturellen Bedeutung.
Gebäude nachhaltig entwickeln
Bis zu 60 Prozent der Gebäude in ländlichen Gebieten können als historisch betrachtet werden. Meistens stehen sie in benachteiligten Gebieten im alpinen Raum – ob im slowenischen Soca-Tal, im italienischen Truden im Naturpark oder im österreichischen Hittisau in Vorarlberg – und bieten ein geringes Maß an Energieeffizienz und Komfort.
Die Besitzer*innen der historischen Gebäude müssen, ebenso wie Architekt*innen, Erbschaftsbehörden und politische Entscheidungsträger*innen in den Kommunen, meist erst für die Notwendigkeit und den Nutzen einer nachhaltigen Entwicklung der traditionellen alpinen Architektur sensibilisiert werden.
Gebäudeatlas für alpine Architektur
In einem ersten Schritt entsteht im Rahmen von ATLAS deshalb ein historischer Gebäudeatlas als Online-Datenbank mit Best-Practice-Beispielen.

Tobias Listl, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt, klassifizierte dafür unterschiedliche Typologien wie beispielsweise das Jurasteinhaus im bayerischen Altmühltal (Bild oben), das Appenzeller Haus in der Schweiz oder das Vorarlberger Holzhaus in Österreich (Bild unten) – und stellte gelungene Beispiele für die nachhaltige Sanierung solcher historischen Gebäude in die Datenbank ein.

Darüber hinaus finden sich hier auch Tipps, was man von historischen Bauten lernen kann, zum Beispiel Fensterläden aus Holz, die man im Sommer als Sonnenschutz verwendet, im Winter aber aushängt, um Platz für ein zusätzliches Winterfenster zu machen.
Bewertungsschema für alpine Architektur
Im zweiten Schritt entwickelt Prof. Eßig mit ihrem wissenschaftlichen Mitarbeiter Ahmed Khoja ein Bewertungsschema mit so genannten »Key Performance Indicators« für die Nachhaltigkeit historischer Gebäudesanierungen. Dabei geht es – neben ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Kriterien – auch um kulturelle Aspekte wie die Vereinbarkeit der Sanierung mit den kulturellen Werten in der Region.
Darauf folgen wird ein »interactive retrofit guidance tool«, das jede und jeder Einzelne als Grundlage für Sanierungspläne nutzen kann: »Welcher Architekt ist sensibel für das Thema? Wie wurde ein ähnliches Gebäude saniert? Welche Baumaterialien haben sich bewährt? Wie wurde gedämmt?« nennt Eßig einige praktische Beispiele.
Kommunen sind gefragt
Ein Hauptergebnis des Forschungsprojekts ATLAS wird ein ganzheitliches Toolkit für Kommunen sein. »Gemeinden sind Schlüsselakteure, wenn es um die optimalen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Sanierung historischer Gebäude geht. Sie können Pilotprojekte starten und sich selbst an der Renovierung traditioneller Gebäude beteiligen, lokale Netzwerke gründen oder sich als Modellregion positionieren«, erklären Eßig und Langenberg.

Professor Eßig hat übrigens selbst ein historisches Gebäude in Franken renoviert und weiß – aus der Perspektive der Bauherrin und der Architektin – wie viele Stolpersteine im Lauf eines solchen Projekts auftauchen. »Man muss sehr behutsam vorgehen, um die Schönheit des Alten zu bewahren, kann aber auch moderne Elemente integrieren«, sagt sie. In ihrem eigenen Haus hat sie zum Beispiel die inneren Fenster ihres Altbau-Kastenfensters durch eine energieeffizientere Verglasung ersetzt, deren Fensterrahmen aber die historischen Proportionen aufgreifen. Ein klarer Fall für die Best-Practice-Datenbank.
Projektdaten
Projekttitel:
Advanced Tools for Low-carbon, high-value development of historic architecture in the Alpine Space (ATLAS)
Projektlaufzeit:
April 2018 bis 16. April 2021
Projektpartner:
- Accademia Europea di Bolzano, Italien (Koordinator)
- Universität Innsbruck, Österreich
- Energieinstitut Vorarlberg, Österreich
- Posoški razvojni center, Slowenien
- Gemeinde Truden im Naturpark, Italien
- Teamblau GmbH, Italien
- Sites et Cités Remarquables France, Frankreich
- University of Applied Sciences and Arts of Southern Switzerland, Schweiz
Projektträger und Zuwendungsgeber:
Europäische Union sowie Interreg-Programm
Text: Elke Zapf