Tiny Forests: Grünere Städte dank kleiner Wälder

Tiny Forest Aufmacher
Foto: Adobe Stock

Die Stadt braucht mehr Bäume − darin sind sich Ökologen, Klimaschützer und Stadtplaner einig. Das aus Japan stammende Konzept des Tiny Forest verspricht schnelle Erfolge im Kampf für bessere Luft, mehr Artenvielfalt und Schutz vor Unwettern im urbanen Raum. Wir zeigen die Vorteile und positiven Auswirkungen der Mini-Wälder für Städte und wagen einen kritischen Blick: Sind die grünen Hoffnungen gerechtfertigt?

  1. Tiny Forests – Miniwälder für die Stadt
  2. Tiny Forests nach Miyawaki
  3. Die kritische Perspektive: Bringt es was?
  4. Fazit: Das leisten Tiny Forests für unsere Städte

Christian Mascheck
Fachautor CRADLE

Tiny Forests – Miniwälder für die Stadt

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Tiny Forests gehen noch einen Schritt weiter: Sie sind als echte Waldformationen mit einer Vielfalt an Baumarten angelegt. Nach anfänglicher Unterstützung durch Bodenvorbereitung und -verbesserung, Bewässerung und Pflege sollen sie sich nach einigen Jahren selbst überlassen werden und zu naturwaldähnlichen Ökosystemen auf kleinster Fläche heranwachsen.

Dabei geht es auch darum, Begeisterung für den Umweltschutz zu wecken: Bei der Planung, Anlage und Pflege der Mini-Wälder sollen die Stadtbewohner miteinbezogen und so für den ökologischen Nutzen gewonnen werden.

Tiny Forest Pflanzaktion in den Niederlanden
Tiny Forests brauchen Begeisterung, deshalb machen Kinder gern dabei mit, neue kleine Wälder zu pflanzen – hier in Zaandam in den Niederlanden.
Foto: Afforestt

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Tiny Forests nach Miyawaki

Das Konzept der urbanen Tiny Forests entwickelte der (im Jahr 2021 verstorbene) japanische Umweltschützer Akira Miyawaki in den 1970er-Jahren. Sein Ziel war es, auf kleinen städtischen Brachflächen ab etwa 200 Quadratmetern möglichst schnell einen artenreichen Wald entstehen zu lassen.

Im Gegensatz zu konventionellen Aufforstungsprojekten, die oft auf importierte, schnell wachsende Baumarten setzen, arbeitete Miyawaki nur mit Baumarten, die regional, in den Wäldern in der Nähe der potenziellen Tiny-Forest-Flächen, vorkommen. Das schnelle Wachstum soll durch eine sehr dichte Bepflanzung mit einer Mischung aus etwa 20 bis 40 Baum- und Straucharten mit zwei bis sieben Pflanzen pro Quadratmeter erreicht werden.

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In 10 bis 20 Jahren entsteht ein Wald

Dadurch konkurrieren die Pflanzen stark um Licht und wachsen entsprechend schnell. Auf diese Weise soll in nur 10 bis 20 Jahren ein Wald entstehen, der herkömmlichen Wäldern nach 100 Jahren entspricht. Miyakawi selbst hat zahlreiche Tiny-Forest-Projekte auf der ganzen Welt beraten.

Der Inder Shubhendu Sharma machte daraus ein erfolgreiches multinationales Geschäftsmodell namens Afforestt. 2019 gründeten die Forstwissenschaftler Stefan Scharfe und Lukas Steingässer Miya e. V., um die Miyawaki-Methode in Deutschland zu verbreiten. Im Jahr 2020 entstand der erste 700 Quadratmeter große Miniwald in der Uckermark.

Tiny Forest nach 9 Monaten
Noch mal Zaandam: Der gleiche Tiny Forest nach nur neun Monaten. Die Mischung macht´s und wird weiterhin liebevoll gepflegt.
Foto: Afforestt

Die Miyawaki-Methode: Schritt für Schritt erklärt

Miya e. V. bietet die Planung und Anlage von Kleinstwäldern als Dienstleistung an, für Eigentümer öffentlicher oder privater Flächen. Bei den Projekten werden Einzelpersonen oder Gruppen (z. B. Schulklassen) immer in die Arbeiten mit einbezogen.

So sieht der Projektablauf aus:

  1. Flächensuche (mindestens 100 Quadratmeter)
  2. Baumartenauswahl, orientiert an den örtlichen Gegebenheiten
  3. Bodenanalyse und Empfehlungen für die Bodenverbesserung
  4. Bodenbearbeitung mit Bagger, Anreicherung mit Biomasse wie Stroh, Kompost oder Terra Preta (nährstoffreiches Bodensubstrat)
  5. Gemeinsame Pflanzaktion
  6. Pflege (Wässern, Entfernen von Krautpflanzen) für zwei bis drei Jahre

Was ein Tiny Forest leisten kann

Tiny Forest Projekt in Bönningstedt
Der Community-Gedanke lebt! Da sage noch einer, Tiny Forests wären Insellösungen für wenige: Bei dieser Pflanzaktion im schleswig-holsteinischen Bönningstedt kamen 150 freiwillige Helfer, die die Setzlinge in kürzester Zeit in den Boden brachten.
Foto: citizens-forests.org

Tiny Forests nach dem Miyawaki-Konzept haben im Rahmen einer Stadtbegrünungsstrategie folgende Vorteile und positive Wirkungen:

  • Es entstehen schnell neue urbane Grünflächen.
  • Der Pflegeaufwand ist vergleichsweise gering und beschränkt sich auf die ersten Jahre.
  • Tiny Forests tragen zur Verbesserung des Mikroklimas bei und binden Kohlendioxid.
  • Bisher untersuchte Tiny Forests weisen nach einigen Jahren eine beachtliche Artenvielfalt an Pflanzen und Tieren auf.
  • Durch den Community-Ansatz mit Beteiligung der Anwohner und verschiedener Gruppen kann die Beziehung zum lokalen Mini-Wald gestärkt werden.
  • Insbesondere durch die Einbeziehung von Kindern leisten die Tiny Forest Projekte umwelt- und klimabezogene Bildungsarbeit.

Die kritische Perspektive: Bringt es was?

Tiny Forests bieten sehr viele Vorteile für Stadtbewohner. Kritiker wenden ein, dass die europäischen Tiny Forests noch zu jung seien, um ihre Wirkung abschließend beurteilen zu können, und dass das Konzept nicht in allen Punkten seinen Ansprüchen gerecht werden kann:

  • Forstwissenschaftler wie Hubert Hasenauer, Leiter des Instituts für Waldbau an der Universität für Bodenkultur in Wien, halten ein 5- bis 10-mal schnelleres Wachstum nach der Miyawaki-Methode im Vergleich zu anderen Wäldern für kaum vorstellbar. Es bleibt auch abzuwarten, ob sich die heute angelegten Tiny Forests in Zukunft ohne pflegerische Eingriffe tatsächlich so vielfältig entwickeln wie erwartet.
  • Verglichen mit dem weltweiten Verlust an Waldfläche, der überwiegend nicht in Europa stattfindet, sind die aufgeforsteten Flächen verschwindend gering.
  • Für den großflächigen Klimaschutz sind Tiny Forests somit eher ein Tropfen auf den heißen Stein: Ein 200 Quadratmeter großer Miniwald kann rund 250 Kilogramm CO₂ pro Jahr binden. Das entspricht in etwa dem CO₂-Ausstoß einer Autofahrt von Amsterdam nach Barcelona.
  • Offen ist auch, wie sich das Verhältnis der Stadtbewohner zu den Wäldchen in ihrer Nachbarschaft entwickelt, wenn diese erst einmal ihren „urwaldähnlichen“ Zustand erreicht haben und möglicherweise weniger einladend wirken als ein öffentlicher Park mit Bänken und Feuerstelle.
Tiny Forest in Darmstadt
So klein – und so ansehnlich – können Tiny Forests sein – wie hier in einer Wohnsiedlung in Darmstadt.
Foto: Martin Egbert

Tiny Forests in Europa

Der indische Öko-Unternehmer Shubhendu Sharma hat mit seiner Firma Afforestt viel zur Verbreitung der Miyawaki-Methode beigetragen. Nach einem Besuch bei Sharma in Indien gründete der belgische Biologe Nicolas de Brabandere sein eigenes Unternehmen, um urbane Wälder in Belgien und Frankreich anzulegen. Auch Daan Bleichrodt von der niederländischen Umweltorganisation IVN ließ sich von Sharma inspirieren und gründete 2015 die ersten Tiny Forests in den Niederlanden, mittlerweile sind es über 120. Wissenschaftlich begleitet werden die Projekte von Forschern der Universität Wageningen.

Fazit: Das leisten Tiny Forests für unsere Städte

  • Tiny Forests sind urbane Kleinstwälder mit Flächen zwischen 100 und 1000 Quadratmetern.
  • Mit der Miyawaki-Methode, einer sehr dichten Bepflanzung mit verschiedenen Baumarten, sollen die Wälder besonders schnell wachsen. Die Einbeziehung der Stadtbevölkerung in Planung, Pflanzung und Pflege ist ein wesentlicher Bestandteil der Tiny-Forest-Projekte.
  • Positive ökologische Effekte der Miniwälder sind bereits nach wenigen Jahren zu beobachten: Verbesserung des städtischen Mikroklimas, mehr Artenvielfalt, Bindung von CO₂.
  • Der Beitrag zum Klimaschutz wird aufgrund der sehr kleinen Flächen allerdings als eher gering eingeschätzt.

Übrigens: In Singapur werden Stadtwäldchen inzwischen Teil des Stadtbilds, bauregulatorisch Grün eingefordert wird. Lesen Sie dazu mehr in Heft 2 unseres Print-Magazins CRADLE.